JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
annehmen.“
„Ich habe den Auftrag, die Blumen auf jeden Fall auszuliefern“, erklärte der junge Mann flehend. „Sonst bin ich ganz schnell meinen Job los. Bitte.“
Jodie wollte diesen Strauß nicht – aber sie konnte auch nicht das Risiko eingehen, dass der Bote Ärger mit seinem Chef bekam. Schließlich war es nicht seine Schuld, dass Sam der größte Schuft aller Zeiten war. „Na gut“, lenkte sie ein. „Wo muss ich unterschreiben?“ Doch die Blumen würden auf kürzestem Weg im Mülleimer landen.
Nachdem ihr erster Zorn verraucht war, fischte sie den Strauß wieder aus der Mülltonne. Das Bouquet aus Rosen und Fresien war wunderschön, es war zu schade, diesen Strauß in den Müll zu werfen. Sie würde ihn mit ins Krankenhaus nehmen und einem der Patienten eine Freude damit machen.
Was allerdings auf der Karte stand, die in dem Strauß steckte, interessierte sie nicht. Kein bisschen.
Eine halbe Sunde hielt sie es aus, ehe die Neugier siegte. Sie zog den Umschlag zwischen den Blüten hervor und öffnete ihn. Sam hatte nur zwei Worte geschrieben: „Verzeih mir.“
Verzeihen? Was sollte sie ihm verzeihen? Dass er sich feige aus ihrem Leben gestohlen hatte? Dass ihre Beziehung nicht hatte von Dauer sein können? Sie würde ihn nicht fragen, was sie ihm verzeihen sollte. Nur noch auf beruflicher Basis würde sie mit ihm sprechen, ihr Privatleben hatte in ihren Gesprächen nichts mehr verloren. Doch die Höflichkeit gebot es, dass sie ihm wenigstens einen kurzen Dank schickte.
„Danke für die Blumen. Jodie“, schrieb sie schnell auf eine Karte, ehe sie zum Dienst ging. Sie steckte die Nachricht in sein Fach im Krankenhaus und überreichte die Blumen der Oberschwester. „Schenken Sie den Strauß jemandem, der ein bisschen Freude gebrauchen kann“, bat sie.
Sam las Jodies Nachricht und lächelte. Zumindest funktionierte die Kommunikation zwischen ihnen wieder. Wenn auch mühsam, doch es war wenigstens ein Anfang. Sie hatte seine Entschuldigung akzeptiert, nun würde sie auch seine Erklärung anhören. Oder, wenn nötig, würde er ihr einen Brief schreiben.
Am nächsten Morgen fand Jodie einen Brief mit einem Poststempel aus Melbury auf ihrer Fußmatte. Die Adresse war mit Maschine geschrieben. Werbung? Oder … stirnrunzelnd öffnete sie den Umschlag, und eine Fotografie fiel ihr entgegen.
Es war das Bild einer alten Dame, die sie noch nie gesehen hatte. Und doch … sie kam ihr bekannt vor. Sie hatte faszinierend graue Augen. Als sie das Foto umdrehte, entdeckte sie eine Notiz in Sams Handschrift: „Mary Taylor“.
Jodie zog eine Fotokopie aus dem Briefumschlag, die sie sofort als Überweisung ins Krankenhaus erkannte. Mary Taylor war wegen einer Lungenentzündung in die Klinik in Cornwall eingeliefert worden. An dem Tag, als Sam ohne Erklärung verschwunden war. Jetzt also wusste sie, wo er in jenen zehn Tagen gewesen war – und warum. Doch weshalb hatte er sie nicht angerufen und ihr erklärt, warum er so dringend fortmusste? Weshalb hatte er sie schmoren lassen?
Sie steckte das Foto und das Klinikformular wieder in den Umschlag und verstaute ihn im hintersten Winkel einer Küchenschublade. Wenn Sam glaubte, dass sie darauf reagieren würde, hatte er sich geirrt.
Am nächsten Tag erhielt sie eine E-Mail von Sam mit dem Betreff: „Therapievorschlag“. Beruflich, dachte sie erleichtert. Die Mail enthielt keinen weiteren Text, nur einen Anhang, ein Word-Dokument: Therapievorschlag. doc. Vielen Dank, Sam, dachte sie grimmig. Was soll ich damit anfangen? Wer ist der Patient?
Sie öffnete den Anhang und war entgeistert. Er hatte ihr einen medizinischen Fachartikel geschickt, in dem es um den aktuellen Stand der künstlichen Befruchtung und die Samenspende ging.
Damit hatte er den Bogen endgültig überspannt. Wütend machte sie sich auf den Weg zu seinem Büro.
„Ist er da?“, fragte sie Julianne.
„Ja, aber …“
Jodie ignorierte Juliannes Einwand, Sam habe zu tun, und betrat zielstrebig das Büro. Sie schlug die Tür hinter sich zu, um Julianne klarzumachen, dass sie keine Störung wünschte. Hüte dich vor mir, Drachen, dachte sie grimmig. Heute würde sie es mit jedem Feuer speienden Monster aufnehmen!
Sam sah von seinem Schreibtisch auf. „Oh, Dr. Price.“
Sie verschränkte die Arme. „Hör auf, Spielchen mit mir zu spielen.“
„Spielchen?“
„Die Blumen, das Foto deiner Mutter, die E-Mail – lass es sein.“
Er hob die Hände. „Was hätte ich tun sollen? Du
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