JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
hast dich geweigert, mit mir zu sprechen.“
„Überrascht dich das?“
Sam seufzte. „Nein. Aber bitte, gib mir fünf Minuten, um es dir zu erklären.“
„Eine Minute.“
„Drei.“
Sie war nicht in der Stimmung nachzugeben. „Fünfundfünfzig Sekunden. Ab jetzt.“
„Das Krankenhaus in Cornwall hatte mich angerufen und mich informiert, dass meine Mutter mit einer Lungenentzündung eingeliefert worden sei und mich sehen wollte. Ich habe keine Sekunde überlegt, sondern bin sofort losgefahren. Unterwegs habe ich angehalten und versucht, dich zu erreichen, doch du warst nicht da. Und du hast keinen Anrufbeantworter.“
Jodie holte tief Luft, um etwas zu entgegnen, aber Sam hob abwehrend die Hände. „Falls du einen hast, war er nicht eingeschaltet. Ich habe es noch etliche Male versucht – ohne Erfolg. Dann habe ich in der Klinik angerufen, um dich zu sprechen, doch einmal warst du gerade auf Visite, ein anderes Mal im Gespräch mit Eltern einer Patientin. Ich habe Julianne gebeten, dir auszurichten, du solltest mich zurückrufen. Das hast du nicht getan. Als ich sie erneut anrief, sagte sie mir, du seiest nicht mehr da.“
Er seufzte. „Ich wusste nicht, wo du warst und wie ich dich erreichen konnte. Also bin ich bei meiner Mutter geblieben, bis es ihr wieder gut genug ging, um allein zu bleiben. Und dann bin ich geradewegs zu dir zurückgekehrt.“
Das erklärte, warum er so müde ausgesehen hatte, als sie sich wiedergesehen hatten. Er war mindestens acht Stunden unterwegs gewesen – nur um schnell wieder bei ihr zu sein.
„Und dann hast du mir geradeheraus zu verstehen gegeben, dass du nicht mit mir reden wolltest.“
„Willst du jetzt etwa mir die Schuld geben?“, fuhr Jodie ihn an.
„Ich weiß, dass ich oft nicht den richtigen Ton finde“, gab er zu. „Aber wir müssen dringend reden, Jodie.“
„Ich wüsste nicht, worüber.“
„Tatsächlich nicht?“
„Deine Zeit ist um.“
„Und?“
„Nichts und.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer.
Als sie bereits im Flur stand, wurde ihr der Sinn seiner Worte bewusst. Er hatte Julianne gebeten, ihr auszurichten, dass Sam auf ihren Rückruf wartete. Doch Julianne hatte die Nachricht nicht weitergegeben.
Jodies Augen verengten sich. Warum hatte Julianne nicht versucht, sie zu finden? Oder eine Nachricht in ihrem Postfach hinterlassen? War sie etwa selbst verliebt in Sam? Oder wollte sie einfach demonstrieren, dass niemand an ihr vorbeikam?
Es spielte keine Rolle mehr. Jodie würde sich nie wieder – niemals – auf eine Beziehung mit Sam Taylor einlassen. Dennoch nagte die Erkenntnis an ihr. Den ganzen Tag dachte sie darüber nach. Therapievorschlag. Was wollte Sam ihr damit sagen? War er etwa doch bereit zu einer künstlichen Befruchtung, wenn sie sich für ein Kind entscheiden würden?
Schluss!, rief sie sich zur Vernunft. Er wird fortgehen. Und dein Leben geht weiter, ohne ihn. Nicht heute oder morgen, aber irgendwann wird es nicht mehr wehtun, an ihn zu denken.
Als Sam am späten Abend die Station verlassen wollte, hörte er Jodies Stimme. Sie traf ihn mitten ins Herz, und er erkannte das alte Wiegenlied, das sie immer sang. „Guten Abend, gut’ Nacht, mit Rosen bedacht …“
Sam konnte nicht widerstehen. Er hatte einen Stapel Akten mitgenommen, die er zu Hause noch bearbeiten wollte, und er wusste, dass er Jodie aus dem Weg gehen sollte, doch ihr Gesang zog ihn magisch an. Wie Odysseus vom Gesang der Sirenen angezogen wurde, dachte er, während er sich an den Türrahmen lehnte und ihr zuhörte.
Sie wiegte ein Baby in ihren Armen. Das Schicksal der kleinen Madison hatte alle auf der Station angerührt, denn ihre fünfzehnjährige Mutter hatte beschlossen, ihr Kind zur Adoption freizugeben, und sich nicht einen Moment um das Baby gekümmert. Das gesamte Pflegepersonal versuchte nun, ein paar Minuten am Tag zu erübrigen, um der Kleinen Liebe und Aufmerksamkeit zu schenken. Und einige von ihnen gingen so weit wie Jodie, die Madison in den Schlaf wiegte, sie fütterte und versuchte, ihr jene Geborgenheit zu geben, die von deren leiblichen Mutter nicht zu erwarten war.
Jodie war die geborene Mutter, dachte Sam einmal mehr, während er beobachtete, wie behutsam sie das Baby in den Armen hielt, sanft seine Wange streichelte und nun leise vor sich hin summte. So liebevoll und zärtlich würde sie auch mit ihrem eigenen Kind umgehen – jenem Kind, das er so gern mit ihr hätte haben wollen.
Doch er hatte
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