JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
heilfroh, dass die modischen Korkenzieherzweige und die Lilien, die sie zu diesem Strauß gebunden hatte, ihre aufgewühlte Miene verbargen. Es war Ironie des Schicksals, dass sie Rocco für seine Schlagfertigkeit dankbar sein musste. Zum Glück war die Ehefrau ihres Arbeitgebers keine Minute früher hereingekommen und hatte sie in seinem Schlafzimmer ertappt. Wie in aller Welt hätte sie das erklären sollen?
Mehr noch: Wie sollte sie sich selbst erklären, dass sie Rocco solch ein Verhalten gestattet hatte? Wie eine Puppe ohne Hirn und Verstand hatte sie dagestanden und ihn nicht von sich gewiesen, als er sie berührte. Elend vor Scham über ihre Schwäche, stellte Amber das Blumenarrangement ab und zog ihre Arbeitsstiefel wieder an. Rocco langweilte sich. Er trieb seine Spielchen mit ihr, um sich zu amüsieren. Verdammt, tat dieser Gedanke weh. Dabei hätte das niemals passieren dürfen. Sie hätte unbedingt auf der Hut sein und Roccos fesselnder Ausstrahlung widerstehen müssen.
Müsste sie den Mann nicht eigentlich hassen? Nun, Hass hätte die Hitze gewiss auch nicht verhindert, die Rocco in ihr entfachte. Oh nein, jetzt war sie kurz davor, ihm die Schuld zu geben, anstatt sich selber Vorwürfe zu machen. Doch es war ihm ohne Weiteres gelungen, dass sie ihn augenblicklich erneut begehrte. Mühelos hatte er das Verlangen in ihr geweckt, das sie für immer begraben glaubte. In Wirklichkeit hatte jede Faser ihres Körpers vor Erwartung gebebt, und sie hatte verzweifelt darauf gewartet, dass er sie küsste. Aber Rocco hatte sie nicht geküsst, was bewies, dass er sich im Gegensatz zu ihr absolut unter Kontrolle hatte.
Ich werde ihm aus dem Weg gehen und das restliche Wochenende bei meiner Schwester verbringen, beschloss Amber. Dann fiel ihr ein, dass genau dies nicht möglich war. Sie hatte zwar versprochen, heute Abend den Babysitter für ihre kleine Nichte zu spielen. Aber morgen früh musste sie hierher zurückkehren und arbeiten. Harris Winton war nur an den Wochenenden in seinem Landhaus und verlangte ihre Anwesenheit bei der wöchentlichen Inspektion seines Grundstücks. Als Ausgleich dafür erhielt sie in der Woche einen freien Tag.
Amber ging zu dem alten Kutschenhof hinüber und kletterte in den zehn Jahre alten Transporter, den ihr Schwager Neville ihr geliehen hatte. Angeblich hatte er ihn für einen der Luxuswagen in Zahlung genommen, die er aus dem Ausland importierte. Allerdings klang das wenig überzeugend in ihren Ohren. Der Wagen war eine Art Dauerleihgabe und machte Amber erneut bewusst, wie abhängig sie von Nevilles und Opals Großzügigkeit war.
Die Unabhängigkeit, die sie angestrebt hatte, schien ihr so unerreichbar wie eh und je. Sie war einzig und allein stolz darauf, dass sie nicht länger unter dem Dach ihrer Schwester wohnen musste. Allerdings konnte sie nur arbeiten gehen, weil sie die hervorragenden Dienste des Kindermädchens mit in Anspruch nehmen durfte, das ihre Schwester für ihre kleine Tochter eingestellt hatte. Ihr eigenes niedriges Gehalt hätte niemals für eine ganztägige Kinderbetreuung ausgereicht, ja nicht einmal für einen größeren Zuschuss zum Gehalt des Kindermädchens. Deshalb bedankte sie sich immer wieder bei Opal und Neville, nahm deren Hilfe um Freddys willen an und versuchte, sich auf andere Weise nützlich zu machen.
Plötzlich fiel Amber ein, dass sie Roccos spöttisches Lächeln mit nur wenigen Worten aus seinem attraktiven Gesicht hätte verschwinden lassen können. Weshalb habe ich nichts gesagt, als ich endlich die Möglichkeit dazu erhielt?, überlegte sie, während sie zu der vornehmen Wohnsiedlung fuhr, in der ihre Schwester und ihr Schwager lebten.
„Rocco Volpe ist ein Mistkerl“, hatte Opal bei Freddys Geburt erklärt. „Aber ich werde mir eher die Zunge abbeißen, als tatenlos mit anzusehen, wie sehr du dich demütigst. Es könnte äußerst schwierig werden, seinen Unterhalt vor Gericht einzuklagen. Reiche Männer wie er bestreiten ihre Vaterschaft durch alle Instanzen. Solch ein Verfahren kann Jahre dauern, vor allem, wenn der Vater kein britischer Staatsbürger ist. Rocco könnte das Land verlassen und dir ständig Steine in den Weg legen. Bewahr dir deinen Stolz, kann ich dir nur raten.“
Ihren Stolz? Schon der Gedanke, Rocco zu erzählen, dass sie ein Kind von ihm hatte, setzte ihrem Stolz erheblich zu. Rocco hatte keinerlei Skrupel gehabt, als er ihre Beziehung beendete. Ihre trüben Gedanken kehrten zu der Zeit vor achtzehn
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