JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
ist.“ Amber öffnete nervös die Hände und schloss sie wieder. Das Letzte, was sie jetzt wollte, war ein Gespräch über die Schwierigkeiten einer allein erziehenden Mutter bei niedrigem Gehalt.
„Praktisch?“, forschte Rocco nach.
„Ich wohne in einem Häuschen auf dem Grundstück. Die Arbeit schließt eine Unterkunft mit ein. Meine Schwester lebt in der Nähe, und ich bin gerne bei ihr.“
„Du hast niemals erwähnt, dass du eine Schwester hast.“
Amber errötete schuldbewusst. Sie hatte Rocco absichtlich in dem Glauben gelassen, dass sie ebenso wie er ohne Geschwister aufgewachsen wäre. Rocco war das einzige Kind eines älteren Ehepaars, das gestorben war, als er Anfang zwanzig war.
„Erklär mir, weshalb du mir deine Schwester verschwiegen hast“, fuhr Rocco ruhig fort.
Oh nein, sie konnte ihm unmöglich die Wahrheit gestehen. Sie hatte furchtbare Angst gehabt, Rocco könnte ihre hübsche intelligente Schwester kennenlernen und sie, Amber, fortan als armselige Zweitbesetzung betrachten. Schließlich war so etwas schon früher passiert. Es spielte keine Rolle, dass Opal zwölf Jahre älter war als sie und glücklich verheiratet. Die Leute staunten jedes Mal, wenn sie erfuhren, dass die äußerst erfolgreiche Anwältin Opal Carlton ihre Schwester war. Von klein auf war Amber sich bewusst gewesen, dass sie eine einzige Enttäuschung für ihre Eltern war, die als äußerst kluge Menschen ebenfalls großartige Leistungen von ihrer jüngeren Tochter erwarteten. Selbst ihr Bestes war für Vater und Mutter nie gut genug gewesen.
„Nun, ich habe eine Schwester, und ich mag sie sehr“, murmelte Amber, ohne Rocco anzusehen. Sie schämte sich entsetzlich, dass sie Opal wie ein übles Geheimnis verschwiegen hatte. Dabei hätte sie das letzte Jahr ohne die Unterstützung ihrer Schwester niemals heil überstanden.
„Weshalb weichst du mir aus?“ Rocco ließ nicht locker. „Nichts, was du bisher gesagt hast, erklärt auch nur im Geringsten, weshalb du plötzlich eine Schubkarre fährst, anstatt einen Rechner zu bedienen.“
Amber schluckte schwer. „Innerhalb eines Monats, nachdem diese Klatschgeschichte in der Presse erschienen war, stand ich ganz oben auf der Kündigungsliste. Man erklärte mir, Woodlawn Wyatt wäre überbesetzt, und ich verlor zusammen mit einigen Kollegen meinen Job.“
„Das überrascht mich nicht“, erklärte Rocco ungerührt. „Handelsbanken sind konservative Unternehmen …“
„Und die Publikumsbanken entlassen immer noch Personal. Deshalb fand ich keine neue Stelle“, gab Amber widerwillig zu. Sie hasste es, Rocco wissen zu lassen, dass sie sich die größte Mühe gegeben hatte, eine gleichwertige Beschäftigung zu finden, aber gescheitert war. „Außerdem vermute ich, dass sofort die Messer gewetzt wurden, wenn jemand Referenzen von meinem früheren Arbeitgeber einholen wollte.“
„Möglicherweise“, antwortete Rocco nachdenklich. „Aber wenn du in London geblieben wärest …“
„Als Arbeitslose in einer Großstadt zu leben ist finanziell kaum möglich. Ich war nicht lange genug in der Firma, um Anspruch auf eine Abfindung zu erheben. Deshalb zog ich für eine Weile zu meiner Schwester.“
„Dies ist zwar eine ländliche Gegend, aber sie gehört zum städtischen Einzugsgebiet. Gewiss hättest du eine passendere Beschäftigung finden können.“
Langsam verlor Amber die Geduld. „Hör zu, ich bin glücklich so, wie es ist. Und ich bin nur heraufgekommen, um dich zu bitten, von deinem Vorhaben Abstand zu nehmen und einfach zu vergessen, dass du mich hier gesehen hast.“
Rocco lehnte sich an den polierten Fußteil des eleganten Bettes, sah sie fest an und machte ihr eindrucksvoll bewusst, dass sie sich zusammen in einem Schlafzimmer befanden. „Möchtest du das wirklich?“
Amber blinzelte verwirrt. Doch schon löste der magische Blick seiner goldbraunen Augen in ihr eine Welle körperlichen Verlangens aus. Wie eine gefährliche Strömung aufregender Bilder, gegen die sie sich vergeblich zu wehren versuchte, riss die Erinnerung sie mit sich fort: Rocco, der sie auf sein Bett warf, sie leidenschaftlich küsste und jenes Verlangen in ihr weckte, dem sie zu keiner Zeit hatte widerstehen können; Rocco, dessen erfahrene Hände morgens über ihren Körper glitten und sie weckten; das Gefühl vollkommenen Glücks, von jemandem so sehr begehrt zu werden wie nie in ihrem Leben zuvor.
„Wovon r-redest du?“, stotterte Amber und löste sich mühsam aus ihrer
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