JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
hatte, sodass nur noch ihre Augen zu sehen waren. Dann warf er sich den Rucksack, in dem seine Erste-Hilfe-Ausrüstung immer griffbereit war, über die Schulter.
„Wir bleiben erst mal zusammen“, rief er, bevor sie losgingen, Bess wie üblich an seine Fersen geheftet.
Sophie nickte nur, der scharfe Wind nahm ihr den Atem. Schnee peitschte ihr ins Gesicht, scharf wie Nadeln, während sie langsam hinter Bram herging.
Der Schnee war mittlerweile mehr als kniehoch, und als sie das Gatter zum ersten Feld erreichten, konnten sie es kaum noch öffnen. Bram schrie ihr über den Wind zu, sie solle sich am Rand des Feldes entlangkämpfen. „Bleib immer an der Mauer“, rief er. „Selbst wenn es dort schwieriger zu gehen ist. Aber sonst verläufst du dich. Wir treffen uns dann am nächsten Gatter.“
Sophie kämpfte sich im Schein der Taschenlampe durch die tief verschneite Glockenheide und rief nach Nick, obwohl es nahezu unmöglich war, dass er sie bei dem heulenden Wind hören konnte. Wie sollten sie ihn bei diesem Wetter je finden?
Brams breiter Rücken hatte ihr Schutz geboten, doch jetzt bekam sie allmählich Angst. Ihr Gesicht und die Hände waren inzwischen taub vor Kälte, und sie verlor langsam die Orientierung, weil sie durch das dichte Schneetreiben kaum etwas sehen konnte. Bald wusste sie nicht mehr, wo sie war oder wie weit sie noch gehen musste.
Die Mauer schien endlos, doch schließlich knickte sie ab und führte zum nächsten Gatter. Der Schein von Brams Taschenlampe war das Schönste, was Sophie je gesehen hatte.
Hinter dem Gatter gingen sie wieder getrennt weiter. Sophie zog den Kopf ein, um sich gegen den eisigen Wind zu schützen. Immer wieder stolperte sie und hatte Mühe, sich wieder aufzurichten. Halte dich an die Mauer, sagte sie sich. Sie blieb so nah an der Wand, dass sie die Steine berühren konnte. Nur deshalb ertastete sie auch den Durchlass in der Mauer.
Ihr fiel ein, dass er zu einer Senke führte, die eine Abkürzung zur Straße bot. Man musste zwar ein Stück über Felsen klettern, ersparte sich im Sommer aber auf diese Weise ein paar Meilen durch die Heide. Im Winter jedoch, und dazu noch bei diesem Wetter, war es ein gefährliches Unterfangen.
Zunächst zögerte Sophie, die sichere Mauer zu verlassen, aber ihre Eingebung, auf der anderen Seite zu suchen, siegte, sodass sie schließlich über die Mauer kletterte und prompt in einer tiefen Schneewehe landete. Durchnässt und zitternd kämpfte sie sich zum Rand der Senke, die vom Schnee so gut verdeckt war, dass sie fast gestrauchelt wäre.
Als sie den Strahl der Taschenlampe auf den Abhang richtete, sah sie, dass unten ebenfalls ein Licht leuchtete. Sollte sie erst Bram suchen oder gleich hinuntersteigen, um nach Nick zu sehen? Sie dachte kurz nach und entschloss sich, den Abstieg allein zu wagen. Sie vertraute darauf, dass Bram sie suchen würde, wenn sie nicht am Gatter war. Deshalb stieg sie zurück zu jener Stelle, an der die Mauer niedrig genug war, um sie zu überwinden, und schaffte es, ihren Schal unter einen Felsblock zu klemmen, wo er vom Wind hin und her geweht wurde. Bram würde ihn sicher sehen und wusste dann, wohin sie gegangen war.
Mit größter Vorsicht kletterte sie den Abhang hinunter. Unten fand sie Nick, eingehüllt in einen orangefarbenen Notfallschlafsack und schon fast völlig vom Schnee bedeckt. „Bin gefallen“, brachte er heraus, obwohl sein Mund steif vor Kälte war. „Mit meinem Knie stimmt was nicht. Bin den Hang nicht mehr raufgekommen und wollte warten, bis es wieder hell wird. Ich habe alles dabei, was ich brauche“, erklärte er, als er Sophies entsetztes Gesicht sah. „Ich weiß, wie man überleben kann. Mir wäre schon nichts passiert.“
Und was war mit Bram und ihr? Sie kämpften sich bei diesem Wetter durch die Nacht, nur um ihn zu finden. Zuerst war sie erleichtert gewesen, weil sie ihn entdeckt hatte und er lebte, doch jetzt war sie wütend auf ihn. „Ich gehe zurück und versuche, Bram zu finden“, sagte sie. „Zumindest wissen wir ja jetzt, wo du bist.“
Sie war schon fast oben angekommen, als eine dunkle Gestalt sie beinahe umgeworfen hätte. Es war Bess, die laut bellte, um Bram auf sich aufmerksam zu machen. Kurz darauf tauchte auch er auf. Während Sophie erleichtert aufatmete, umklammerte Bram wütend ihre Schultern.
„Was, zum Teufel, hast du dir dabei gedacht!“, schrie er sie an. „Ich habe doch gesagt, du sollst an der Mauer bleiben.“
„Nick …“, war
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