Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
Vom Netzwerk:
Helm herausbrachte, fiel Romeos Blick auf Maestro Ambrogio. Seine Über-raschung war so groß, dass selbst das Pferd unter ihm nervös wurde. »Maestro«, rief er, wobei seine Stimme verständlicherweise recht bitter klang, »seid Ihr gekommen, um ein Bild meines Untergangs zu malen? Ich versichere Euch, das wird gewiss ein beeindruckendes Spektakel für das Auge eines Künstlers.«
    »Es ist Euer gutes Recht«, antwortete Maestro Ambrogio, »mich zu verhöhnen. Ich gab Euch eine Landkarte, die Euch geradewegs ins Verderben führte. Nun aber drängt es mich, den Schaden wiedergutzumachen.«
    »Macht lieber, dass Ihr fortkommt, alter Mann!«, gab Romeo zurück. »Ihr solltet Euch sputen, denn wie ich sehe, ist das Seil schon bereit.«
    »Das werde ich«, erwiderte der Maestro, »doch vorher gestattet mir, ein paar unverblümte Worte an Euch zu richten.«
    »Für mehr reicht die Zeit ohnehin nicht«, mischte sich Comandante Marescotti ein. »Also lasst hören, was Ihr uns zu sagen habt!«
    Maestro Ambrogio räusperte sich. Die ausgefeilte Rede, die er sich den ganzen Vormittag über so mühevoll zurechtgelegt hatte, wollte ihm plötzlich nicht mehr einfallen, er konnte sich kaum noch an den ersten Satz erinnern. Bald aber siegte die Notwendigkeit über die Redekunst, so dass er seine Informationen einfach in der Reihenfolge von sich gab, in der sie ihm in den Sinn kamen. »Ihr seid in großer Gefahr«, begann er, »und wenn Ihr mir nicht glaubt ...«
    »Wir glauben Euch!«, bellte Comandante Marescotti. »Nennt uns die Einzelheiten!«
    »Einer meiner Studenten, ein junger Mann namens Hassan«, fuhr der Maestro fort, »hat gestern Abend im Palazzo Salimbeni ein Gespräch belauscht. Er arbeitete oben an der Decke gerade an einem Engel, ich glaube, es war ein Cherubim ...«
    »Zum Teufel mit dem Cherubim!«, brüllte Comandante Marescotti. »Nun sagt uns endlich, was Salimbeni mit meinem Sohn im Sinn hat!«
    Maestro Ambrogio sog hörbar die Luft ein. »Ich glaube, sein Plan sieht folgendermaßen aus: Hier in Fontebecci wird nichts passieren, weil so viele Augen zusehen, aber dort, wo sich auf halber Strecke zur Porta Camollia der Weg verbreitert, werden der Sohn von Tolomei und noch jemand versuchen, Euch am Weiterreiten zu hindern oder in den Graben zu stoßen. Sollte Salimbenis Sohn zu diesem Zeitpunkt bereits einen großen Vorsprung vor Euch haben, werden sie sich damit begnügen, Euch nur ein wenig zu bremsen. Doch das ist nur der Anfang. Sobald Ihr die Stadt erreicht habt, müsst Ihr auf der Hut sein, wenn Ihr durch die von Salimbeni kontrollierten Contraden reitet. In der Gegend von Magione und Santo Stefano werden Leute in den Türmen sitzen und Euch, vorausgesetzt, Ihr seid unter den vordersten drei Reitern, mit allem Möglichem bewerfen. Habt Ihr es erst einmal bis San Donato und Sant'Egidio geschafft, werden sie nicht mehr so kühn sein, aber falls Ihr das Feld anführt und mit Eurem Sieg zu rechnen ist, werden sie es trotzdem riskieren.«
    Romeo warf einen Blick zu seinem Vater hinüber. »Wie denkt Ihr darüber?«
    »Genau wie du«, antwortete Comandante Marescotti. »Das kommt keineswegs überraschend, ich habe nichts anderes erwartet. Dank dem Maestro haben wir nun Gewissheit. Romeo, du musst dich gleich zu Beginn an die Spitze setzen und auch dort bleiben. Schone dein Pferd nicht, sondern reite, so schnell du kannst. Sobald du Porta Camollia erreichst, musst du sie an dir vorbeiziehen lassen, einen nach dem anderen, bis du an vierter Position bist.« »Aber ...«
    »Unterbrich mich nicht! Ich möchte, dass du an vierter Position bleibst, bis ihr Santo Stefano hinter euch gelassen habt. Dann kannst du dich wieder auf die dritte oder zweite Position vorschieben. Aber noch nicht an die Spitze. Erst, wenn du am Palazzo Salimbeni vorbei bist, verstanden?«
    »Das ist zu nahe an der Ziellinie! Da bleibt mir keine Zeit mehr, jemanden zu überholen!«
    »Trotzdem wirst du es tun.«
    »Es ist zu nahe! Das hat noch nie jemand geschafft!«
    »Seit wann«, fragte Comandante Marescotti in sanfterem Ton, »hat das meinen Sohn jemals von etwas abgehalten?«
    Ein Fanfarensignal von der Startlinie setzte allen Gesprächen ein Ende. Jemand stülpte Romeo seinen Adlerhelm über den Kopf und schloss das Visier. Eilig erteilte der Familienpriester dem jungen Mann - höchstwahrscheinlich zum letzten Mal - seinen Segen. Der Maestro ertappte sich dabei, wie er die guten Wünsche auf das nervöse Pferd ausdehnte. Danach lag es nur

Weitere Kostenlose Bücher