Julia
schüttelte er seinen Schmerz binnen weniger Stunden ab, ohne deswegen jemals einen wichtigen Geschäftstermin zu versäumen.
Trotz seiner hin und wieder etwas suspekten Machenschaften und seiner unermüdlichen Rivalitäten mit dem Hause Tolomei war Salimbeni ein Mann, dem viele Leute - oft sogar gegen ihren Willen - eine fast schon speichelleckerische Bewunderung entgegenbrachten. Wann immer er bei einer Versammlung anwesend war, stand er im Zentrum des allgemeinen Interesses, und niemand machte ihm diesen Platz streitig. Sooft er versuchte, witzig zu sein, reagierten alle mit Gelächter, selbst wenn sie seine Worte kaum mitbekommen hatten. Mit seiner freigebigen Art machte er sich bei Fremden sofort beliebt, und seinen Kunden war bekannt, dass man von ihm großzügig entlohnt wurde, sobald man sich sein Vertrauen erst einmal verdient hatte. Da er die Abläufe in der Stadt besser kannte als jeder andere, wusste er genau, wann es an der Zeit war, Brot an die Armen zu verteilen, und wann es Erfolg versprach, gegenüber der Regierung standhaft zu bleiben. Es war kein Zufall, dass er sich gerne wie ein römischer Kaiser in einer feinen Wolltoga mit scharlachroter Kante kleidete, denn er regierte Siena wie sein eigenes kleines Kaiserreich, und jeder, der sich seiner Autorität widersetzte, wurde von ihm behandelt, als hätte er die ganze Stadt verraten.
Angesichts von Salimbenis politischem und finanziellem Geschick waren die Leute wegen seiner anhaltenden Verliebtheit in Messer Tolomeis schwermütige Nichte höchst erstaunt. Bei jeder Messe verbeugte er sich galant vor ihrer bleichen Gestalt, obwohl ihr anzusehen war, dass sie seinen Anblick kaum ertragen konnte. Sie verachtete ihn wohl nicht nur wegen der schlimmen Dinge, die ihrer Familie zugestoßen waren - ihre Tragödie war mittlerweile allgemein bekannt -, sondern sah in ihm gewiss auch den Mann, der ihren Geliebten Romeo durch dubiose Anschuldigungen in Zusammenhang mit dem Mord an Tebaldo Tolomei aus der Stadt getrieben hatte.
Warum, so fragten sich die Leute, setzte ein Mann von Salimbenis Format seine Würde aufs Spiel, um ein Mädchen zu heiraten, das sich nie für ihn würde erwärmen können, selbst wenn sie beide tausend Jahre alt werden sollten? Sicher, sie war schön, und die meisten jungen Männer der Stadt waren in der Lage, sich Giuliettas makellosen Mund und verträumten Blick vorzustellen, sooft sie das Bedürfnis danach verspürten, doch es war etwas völlig anderes, wenn ein gesetzter Mann wie Salimbeni jeden Anstand außer Acht ließ und sie schon so bald nach dem Verschwinden ihres Liebsten und dem Dahinscheiden seiner letzten Gattin für sich beanspruchte.
»Das ist alles eine Frage der Ehre!«, meinten einige, die seine Verlobung mit Giulietta befürworteten. »Romeo hat Salimbeni wegen Giulietta zum Kampf herausgefordert, und solch ein Kampf kann nur eine logische Konsequenz haben: Der Gewinner muss am Leben bleiben, der Verlierer sterben, und die Dame fällt an den, der überlebt, ob er sie haben will oder nicht.«
Andere gaben offen zu, dass sie in Salimbenis Taten das Wirken des Teufels sahen. »Wir haben es hier mit einem Mann zu tun«, flüsterten sie Maestro Ambrogio spät abends im Gasthaus bei einem Glas Wein ins Ohr, »dessen Macht schon lange niemand mehr in Frage stellt. Nun hat sich diese Macht dem Bösen zugeneigt und bedroht als solche nicht nur uns, sondern auch ihn. Ihr habt es selbst gesagt, Maestro: Salimbenis Tugenden haben einen Reifegrad erreicht, wo sie ins Laster kippen, und nun, da er längst gesättigt ist, muss sich sein ungeheurer Appetit nach Ruhm und Einfluss zwangsläufig neue Nahrungsquellen suchen.«
Um ein Beispiel für solche Nahrung zu nennen, brauchte man sich nicht auf reines Raten zu beschränken: Es gab in der Stadt gewisse Frauenzimmer, die nur allzu gern bereit waren, über Salimbenis zunehmend teuflisches Verhalten Zeugnis abzulegen.
Ehemals darauf bedacht, Lust zu spenden und zu empfangen, hatte sich Salimbeni - wie eine Dame dem Maestro berichtete -in letzter Zeit zu einem Mann entwickelt, der es nicht schätzte, wenn man sich zu schnell seinem Willen beugte. Er hielt nun nach jenen Ausschau, die ihm Widerstand leisteten oder regelrecht feindselig gegenüberstanden, um auf diese Weise Gelegenheit zu bekommen, seine Stärke und Dominanz voll und ganz auszukosten. Nichts bereitete ihm mehr Freude als eine Begegnung mit einer Person - in der Regel irgendeiner widerspenstigen, von auswärts
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