Julia
Horde fremder Soldaten in die Stadt stürmen, um seine Dame zu rauben, ehe es zu spät war. Doch den Leuten zufolge befand sich Romeo weit weg in einem fernen Land, wo Salimbeni ihn nie finden würde, und tröstete sich mit Wein, Weib und Gesang.
Während Maestro Ambrogio so dastand, die Kapuze seines Umhangs als Schutz vor dem Regen über den Kopf gezogen, wusste er auf einmal, wie er das große Fresko im Palazzo Pubblico vollenden musste: mit einer Braut, einem traurigen Mädchen, das bitteren Erinnerungen nachhing, und einem Mann, der auf einem Pferd die Stadt verließ, sich aber im Sattel zurücklehnte, um der Bitte eines Malers zu lauschen. Nur, indem er sich der schweigenden Wand anvertraute - so ging es dem Maestro durch den Kopf -, würde er in der Lage sein, den Schmerz in seinem Herzen zu lindern und diesen verhassten Tag zu überstehen.
Sobald Giulietta ihr Frühstück beendet hatte, wusste sie, dass es ihr letzter Tag im Palazzo Tolomei war. Monna Antonia hatte ihr etwas ins Essen getan, um sie zu beruhigen. Wie hätte ihre Tante auch ahnen sollen, dass Giulietta gar nicht beabsichtigte, sich der Heirat zu widersetzen? Wie sonst sollte sie nahe genug an Salimbeni herankommen, um ihn leiden zu lassen?
Sie nahm alles wie durch einen Nebel wahr: den Hochzeitszug, die starrenden Horden auf der Straße, die feierliche Versammlung in der dunklen Kathedrale. Erst als Salimbeni ihren Schleier anhob, damit der Bischof und die sprachlosen Hochzeitsgäste die Brautkrone sehen konnten, erwachte sie aus ihrer Trance und zuckte erschrocken zurück, weil die Leute vor Überraschung nach Luft rangen und der verhasste Mann ihr plötzlich so nahe war.
Bei der Krone handelte es sich um eine sündhafte Vision aus Gold und funkelnden Edelsteinen, wie man sie in Siena oder anderswo nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Ein solcher Schatz hätte eher zu einer Königin als zu einem einfachen Mädchen vom Lande gepasst. Allerdings war er letztendlich nicht für sie bestimmt, sondern für ihn.
»Wie gefällt dir mein kleines Geschenk?«, fragte er und studierte dabei ihre Miene. »Es ist mit zwei äthiopischen Saphiren besetzt, die mich an deine Augen erinnerten. Aber dann ... wirkten sie so verloren, dass ich ihnen zur Gesellschaft zwei ägyptische Smaragde gab, die mich daran erinnerten, wie dich dieser Kerl - Romeo - immer angesehen hat.« Der schockierte Ausdruck auf ihrem Gesicht veranlasste ihn zu einem Lächeln. »Sage mir, meine Liebe, findest du mich nicht großzügig?«
Giulietta musste sich erst fassen, ehe sie ihm eine Antwort geben konnte. »Ihr, Messere, seid mehr als großzügig.«
Er lachte über diese Erwiderung, die ganz nach seinem Geschmack war. »Es freut mich, das zu hören. Ich glaube, wir beide werden sehr gut miteinander auskommen.«
Doch der Bischof hatte die bösartige Bemerkung gehört und war darüber gar nicht amüsiert - ebenso wenig wie die Priester, die später an der Hochzeitsfeier teilnahmen und beim Betreten des Brautgemachs, das sie mit Weihwasser und Weihrauch segnen wollten, feststellen mussten, dass Romeos Cencio über das Bett gebreitet war. »Messer Salimbeni«, riefen sie entsetzt, »Ihr könnt diesen Cencio nicht über Euer Bett breiten!«
»Warum denn nicht?«, fragte Salimbeni, der ein Weinglas in der Hand und ein paar Musikanten im Schlepptau hatte.
»Weil er einem anderen Mann gehört«, antworteten sie. »Er wurde Romeo Marescotti von der Jungfrau Maria persönlich zugesprochen und war einzig und allein für sein Bett gedacht. Warum wollt ihr den Willen des Himmels herausfordern?«
Giulietta aber wusste ganz genau, warum Salimbeni den Cencio auf das Bett gelegt hatte, denn aus demselben Grund hatte er auch die grünen Smaragde in ihre Brautkrone einarbeiten lassen: um sie daran zu erinnern, dass Romeo tot war und nichts, was sie tat, ihn zurückbringen würde.
Am Ende warf Salimbeni die Priester hinaus, ohne ihren Segen für die Nacht erhalten zu haben, und nachdem er sich genug kriecherisches Geschwätz von den betrunkenen Hochzeitsgästen angehört hatte, warf er sie ebenfalls hinaus, zusammen mit den Musikanten. Auch wenn manche Leute diesen plötzlichen Mangel an Großzügigkeit vonseiten ihres Gönners befremdlich fanden, so kannten doch alle die Ursache für das abrupte Ende des Festes: Sie saß in einer Ecke und schien schon fast zu schlafen, war aber selbst in ihrem aufgelösten Zustand derart hübsch, dass er sie unmöglich noch lange in Ruhe lassen
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