Julia
zugezogenen -, die noch nicht wusste, dass man ihm gehorchen musste.
Doch selbst den widerspenstigsten Neuzugängen kamen früher oder später gewisse Gerüchte zu Ohren, und schon bald begegneten auch sie Salimbeni - zu seinem großen Verdruss - nur noch mit falscher Freundlichkeit und Unterwürfigkeit, sooft er, angetan mit Kleidung, die er für Verkleidung hielt, seine Ausflüge in die Stadt machte.
Die meisten Besitzer der einschlägigen Etablissements hätten dem gierigen Kunden am liebsten die Tür gewiesen, doch wie sollten einfache Geschäftsleute sich vor derartigen Regelverstößen schützen, wenn es keine Männer gab, die das Gesetz gegenüber dem Tyrannen durchsetzten? Deshalb durfte das Satyrspiel weitergehen und der schurkenhafte Held unbehelligt nach immer lohnenderen Herausforderungen für seine Potenz suchen, während der Chor von Leuten, die in seinem Kielwasser zurückblieben, nicht viel mehr tun konnte, als die unzähligen Gefahren zu besingen, die sich aus einem solchen Übermaß an Hybris und tragischer Blindheit gegenüber der Vernunft zwangsläufig ergaben.
»Und deswegen, Maestro«, schloss die Dame - die immer gerne ein paar Klatschgeschichten mit jenen Leuten aus ihrer Nachbarschaft austauschte, die bei ihrem Anblick nicht gleich auf die Straße spuckten -, »ist die Besessenheit, die besagter Herr für besagte junge Dame entwickelt hat, keineswegs verwunderlich.« Auf ihren Besen gestützt, winkte sie ihn näher zu sich heran, damit kein neugieriger Zuhörer ihre Erkenntnisse belauschen konnte. »Dieses Mädchen - eine hübsche, knackige Kreatur - ist nicht nur die Nichte seines Erzfeindes, sondern hat auch persönlich allen Grund dieser Welt, ihn zu verachten. Es besteht also keine Gefahr, dass ihr wilder Widerstand eines Tages zu süßer Unterwerfung herabsinken könnte ... keine Gefahr, dass sie ihn je freiwillig in ihre Kammer lassen wird. Versteht Ihr, Maestro? Indem er sie heiratet, sichert er sich die Quelle, aus der sein liebstes Aphrodisiakum sprudelt - Hass -, noch dazu eine Quelle, die nie versiegen wird.«
Zwischen der Salimbeni-Bestattung und der Salimbeni-Vermählung lagen nur eine Woche und ein Tag. Obwohl die Friedhofserde unter seinen Fingernägeln noch feucht war, konnte der Witwer es kaum erwarten, seine nächste Frau vor den Traualtar zu schleifen, auf dass sie fortan das kraftstrotzende Blut der Tolomeis in seinen schlaff gewordenen Stammbaum pumpen möge.
Trotz all seiner Ausstrahlung und Großzügigkeit empfanden es die Leute von Siena als höchst abstoßend, wie unverfroren er seinen Egoismus zur Schau stellte. Während der Hochzeitszug durch die Stadt ging, bemerkten etliche Zuschauer, dass er große Ähnlichkeit mit einem militärischen Triumphzug aus der Zeit der alten Römer aufwies. Dort war sie, die Beute aus fremden Ländern - Männer und Tiere, wie man sie bis dato noch nicht gesehen hatte, und eine in Ketten gelegte Königin auf einem Pferd, gekrönt zur allgemeinen Belustigung -, ein Geschenk an den staunenden Pöbel am Straßenrand, präsentiert von einem stolzen General, der von seinem Triumphwagen allen zuwinkte.
Der Anblick des Tyrannen, der sich in seinem Ruhm sonnte, ließ all das argwöhnische Gemurmel, welches Messer Salimbeni seit dem Palio überallhin folgte, wieder in voller Stärke aufleben. Man hatte es hier mit einem Mann zu tun - so sagten einige -, der nicht nur einen einzelnen Mord auf dem Gewissen hatte, sondern mordete, wann immer ihm danach zumute war, und dennoch ungeschoren davonkam, weil niemand die Stimme gegen sein Tun zu erheben wagte. Ein Mann, der ungestraft solche Verbrechen beging - und obendrein auch noch eine widerstrebende Braut zur Heirat zwang -, konnte allen gefährlich werden und schreckte bestimmt vor nichts zurück.
Während Maestro Ambrogio an diesem Novembertag im Nieselregen am Straßenrand stand und die Frau betrachtete, deren Weg von jedem Unglücksstern am Himmel durchkreuzt worden war, ertappte er sich dabei, wie er betete, jemand möge vortreten und Giulietta vor ihrem traurigen Los retten. In den Augen der Menge hatte sie nichts von ihrer Schönheit verloren, doch für den Maler - der sie seit dem Vorabend des verhängnisvollen Palio nicht mehr gesehen hatte -, war offensichtlich, dass es sich inzwischen eher um die steinerne Schönheit der Athene handelte als um den lächelnden Zauber Aphrodites.
Wie sehr wünschte er, Romeo würde noch in dieser Sekunde nach Siena zurückkehren und mit einer
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