Julians süßes Blut (German Edition)
sobald es auftauchte, aber da waren noch andere Dinge, Stimmen, die ich hörte, ganze Gespräche. Ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Wahrscheinlich wäre ich in psychiatrische Behandlung gekommen wegen Schizophrenie. Also schwieg ich. Ich lebte in Paris zu der Zeit, studierte auch dort, Geschichte. Meine Eltern hatten immer genug Geld, mein Leben zu finanzieren. Ich hatte eine eigene Wohnung und selten mal einen Nebenjob. Also im großen und ganzen ein ziemlich laues Leben. Eines Abends ging ich an der Seine spazieren, und da sah ich Alex. Er stand auf einer der kleinen Brücken und starrte gedankenverloren auf das dunkle Wasser. Ich beobachtete ihn eine Zeit. Nein, ich starrte ihn an. War völlig fasziniert, denn das Kribbeln in meinem Körper war wieder da. Und ich wußte in diesem Augenblick, was Alex war, und daß mein seltsames Gefühl quasi ein siebter Sinn für Wesen wie ihn war. Es war wie eine Erleuchtung.« Brian lächelte, als er sich daran erinnerte.
»Er bemerkte natürlich rasch, daß er beobachtet wurde und versuchte mich heranzulocken. Da gab ich Fersengeld. Ich glaube, so schnell bin ich mein Lebtag noch nicht gelaufen. Ich fühlte, daß er mich verfolgte, daher bemühte ich mich, keinen Gedanken mehr an ihn zu verschwenden. Ich wußte merkwürdigerweise, daß er mich durch meine Gedanken finden konnte.«
»Wolltest du ihn denn nicht kennenlernen?« fragte Julian erstaunt und schob sich ein wenig näher an Brian heran. Der bemerkte das, ließ es jedoch zu. Der Junge war sein Sohn ...!
»Ich wußte, daß er mich umbringen würde. Doch ich war fasziniert, wie gefesselt durch diese Entdeckung. – In der darauffolgenden Zeit konnte ich einige Male seinen Aufenthaltsort aufspüren, was ihn zur Raserei brachte. Unser erstes Zusammentreffen schließlich war 1989 in New York. Ich war zu naiv gewesen, hatte nicht geglaubt, daß er mir folgen würde. Und plötzlich stand er in meinem Hotelzimmer. Ich habe mir vor Angst fast in die Hose gemacht.« Brian lachte leise.
»Aber er beherrschte seinen Drang mich zu töten. Wir unterhielten uns die ganze Nacht. Und das war nicht besonders einfach, denn Alex war zu der Zeit ... noch schwieriger als heute. Oder habe ich mich vielleicht nur an seine Art gewöhnt?«
»Er ist unberechenbar«, sagte Julian leise. »Ich kann ihn nicht einschätzen. Ich kann nicht beurteilen, ob er spielt oder ob er etwas ernst meint.«
Brian lachte. »Das ist in Ordnung. Hüten mußt du dich nur, wenn er ärgerlich ist. Dann kann er sehr unangenehm sein.«
»Ich habe euren Mitbewohner Gabriel noch immer nicht gesehen. Wie ist er?«
»Ich habe ihn auch schon länger nicht mehr gesehen, aber das ist nicht weiter verwunderlich. Gabriel ist sehr unruhig. Vielleicht liegt das daran, daß er noch ein halbes Kind war, als er zu einem der Unsrigen wurde. Alex wollte es eigentlich nicht, aber das hätte Gabriels Tod bedeutet.«
»Warum? Was war ihm passiert?« fragte Julian interessiert.
»Er hatte versucht, sich das Leben zu nehmen. Wir fanden ihn, da war er schon so gut wie tot.«
»Wollte er denn gerettet werden?«
»Ja, das wollte er. Er muß immer seinen Willen bekommen. Und er ist – ähm, sehr sprunghaft. Also – ich weiß nicht, ob du schon irgendwelche sexuellen Erfahrungen hast, Julian. Aber wenn du jetzt noch keinen gesteigerten Wert darauf legst, dann halt dich weitestgehend von Gabriel fern.«
Julian spürte, wie sein Gesicht wieder heiß wurde. »Woher willst du wissen, ob ich überhaupt mit einem Mann ins Bett gehen würde?« fragte er rauh.
Brian grinste. »Willst du darauf wirklich eine Antwort?«
»Ja. Vielleicht steh’ ich nur auf Frauen«, beharrte Julian.
Brian lachte leise. »Julian, ich muß nicht einmal deine Gedanken lesen, um das zu wissen. Möglicherweise ist das nur eine vorübergehende, altersbedingte Störung , aber das glaube ich nicht. Was sonst sollte es für einen Grund für das hier geben?«
Brian griff unter die leichte Bettdecke und strich zärtlich über Julians aufgerichtetes Glied. Der zuckte zusammen und drehte beschämt den Kopf zur Seite.
»Julian, komm, schau mich an. Du brauchst dich nicht zu schämen. Ich habe mich vor einiger Zeit von den moralischen Werten der Gesellschaft gelöst. Vielleicht zählen noch ethische Werte für mich, in einem gewissen Rahmen, denn – wie du weißt – töte ich auch. Doch, wenn du diesen Aspekt herausläßt, den Aspekt der Nahrungsaufnahme, achte ich die Würde des Menschen und die Würde
Weitere Kostenlose Bücher