Julians süßes Blut (German Edition)
der anderen Lebewesen. Ich versuche, nicht zu quälen, nicht unachtsam zu sein gegenüber den Wünschen und Erwartungen der anderen. Doch dafür brauche ich keine moralischen Vorschriften, schon gar keine religiösen. Mir geht es um Lustgewinn, Schmerzvermeidung, meinetwegen. Ich kann dir mal ein paar Bücher suchen, in denen diese Richtung der Philosophie ein wenig erläutert wird. Aber«, er seufzte, »... was soll das ganze angelesene Wissen bewirken? Die ganze Verbildung? – Also, nur falls es dich wirklich interessiert, such ich dir ein paar Schriften heraus. – Und deswegen brauchst du dich nicht zu schämen.«
»Aber was mache ich, wenn ich mir Dinge wünsche, von denen ich weiß, daß sie falsch sind. Ich meine, verdorben, pervers, was weiß ich?« fragte Julian sehr leise.
»Wenn du mit jemandem ins Bett gehst, zählt nur, daß beide Partner, oder sagen wir: alle beteiligten Personen es wollen. Solange niemand gezwungen wird, ist alles erlaubt.«
»Gehst du mit Alex ins Bett?«
Brian lachte wieder. »Da gibt es eine kleine Schwierigkeit. Der Wunsch, sich so körperlich zu vereinigen, läßt oft nach, wenn du erst einmal unsterblich bist. Ich spüre es selbst bei mir schon, und Alex ist seit über 350 Jahren Vampir. Es sind schon wirklich Ausnahmen, wenn Vampire Sex haben. Gabriel ist so eine Ausnahme; offensichtlich wird auch sein Verlangen danach nicht schwächer.«
»Habt ihr es denn schon mal gemacht?«
Julian spürte noch immer die Röte in seinem Gesicht, doch er hatte noch so viele Fragen, die ihn quälten.
»Ja. Warum fragst du das? – Ich war schon, bevor ich Alex kannte, mit Männern im Bett.«
»Aber Virginia war deine erste Frau?«
Brian richtete sich nachdenklich auf. »Ja. Stand das in ihrem Tagebuch?«
»Ja, und noch mehr ...« Julians Stimme war kaum mehr, als ein Flüstern.
»Was denn?« fragte Brian und sah seinen Sohn an. Julian konnte ihm nicht sehr lang in die Augen schauen.
»Daß Alex euch zugesehen hat, zum Beispiel.«
Der Vampir grinste.
»War das nicht schlimm für dich? – Ich meine, bei so etwas beobachtet zu werden ...«
»Alex ist kein aufdringlicher Beobachter. Manchmal ist es auch ganz erregend, beobachtet zu werden. Und manchmal bemerkt man ihn gar nicht, nicht wahr, Julian?« Brian lächelte ihn an.
»Weißt du eigentlich alles, was ich denke?« zischte der zwischen zusammengebissenen Zähnen.
»Entschuldige bitte. Ich werde mich zurückhalten«, sagte Brian sanft und strich flüchtig über Julians unschuldiges Jungengesicht.
»Brian, sag mir, wie das ist. Sag mir, ob es weh tut«, flüsterte Julian.
»Du meinst, mit einem Mann zu schlafen?« fragte Brian und fixierte Julian einen Moment lang. Dieser nickte.
»Es ist sicher schlimmer beim ersten Mal, als wenn ich jetzt meine Zähne in deinen wunderschönen Körper senken würde, um dich leer zutrinken.«
Er spürte, wie Julian zusammenzuckte. »Aber es kommt sehr auf denjenigen an, der es mit dir macht.«
»Willst du mich töten?« Julians Stimme war ein Hauch in der Dunkelheit des Zimmers.
»Nein, aber dein Duft treibt mich in den Wahnsinn. Er macht mich verrückt. Dein heißer Körper fühlt sich so gut an, Julian.« Brian drehte sich zu ihm, sah ihm direkt ins Gesicht.
»Dann schlaf mit mir, Brian.«
»Nein, mein liebster Julian. Ich bin dein Vater.« Brian erhob sich langsam. Er zog sich die Schuhe wieder an und drehte sich zu Julian um. »Schlaf gut, Julian.«
Er beugte sich hinab und gab dem Jungen einen sanften Kuß auf die Stirn. Dann verließ er ihn und tauchte in die Dunkelheit der Nacht ein, die ihn bald darauf verschluckt hatte.
Vier
Vielleicht liegt in jeder Freude,
wie in jedem Genuß – Grausamkeit.
Oscar Wilde
Julian erwachte erst am späten Vormittag. Noch immer erstaunt starrte er auf seine geheilte Hand. Die Haut war noch ein wenig bleich und runzelig, aber er hatte keine Schmerzen, wenn er sie bewegte. Es war ein Wunder.
Julian frühstückte ausgiebig, und Claudia leistete ihm dabei Gesellschaft. Sie arbeitete schon seit vierzehn Jahren bei Alex. Und Julian vermutete, daß sie wußte, mit wem sie da unter einem Dach lebte. Aber offensichtlich war es ihr gleichgültig. Alex bezahlte gut, und sie hatte ein wunderschönes Zimmer im Erdgeschoß des Hauses. Ebenso erging es George, der sich jedoch an diesem Morgen nicht blicken ließ. Sie arbeiteten und lebten mit diesen wunderschönen Bestien ... und vielleicht bezahlten sie das eines Tages mit ihrem
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