Julians süßes Blut (German Edition)
befand. Mat wandte Gabriel sein Gesicht zu. Seine Wangen waren eingefallen, seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Gabriel starrte ihn an.
»Warum ist das Leben so grausam«, flüsterte er schließlich. »Warum willst du mein Angebot nicht annehmen?«
Mat schüttelte den Kopf. »Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich will nur noch Ruhe und Frieden.«
»Aber ich will, daß du lebst.« Wütend warf Gabriel eine Handvoll Sand nach einer Möwe, doch er verfehlte sie.
»Lebst du?« fragte Mat. »Lebst du wirklich?«
Gabriel sah ihn verwundert an. »Ja, jetzt lebe ich. Jetzt, mit Brian und Alex. Denn sie lieben mich. Vorher war mein Leben überhaupt nichts wert.«
»Und du liebst mich? Und willst mich zu einer solchen Existenz zwingen?«
Gabriel schluckte. »Ich will dich zu nichts zwingen, Mat. – Findest du mich verabscheuungswürdig?« Eine rote Träne lief an seiner Wange hinunter.
Mat runzelte die Stirn. »Gabriel, hör auf zu weinen. Deine Tränen sind so kostbar. Sie können soviel Leid lindern.« Vorsichtig fing er eine rote Träne mit dem Finger auf. »Aber ich bin nicht so wie du. Ich werde nie so sein können. Ich würde mich hassen.«
»Aber ich verliere dich, Mat. Wenn du nicht die Kraft hast, als Geistwesen hier zu bleiben, werden wir uns nie wieder sehen.« Gabriels Stimme erstarb. Wurde weggetragen vom Rauschen des Windes.
»Was meinst du mit Geistwesen, Gabriel? Gibt es sowas? Oder ist das einfach nur ein Teil deiner Vorstellung?«
Gabriel schloß die Augen. »Nein, es gibt sie. Wenige von ihnen besitzen viel Macht. Die meisten sind einfach nur wie zusammengeballte Energie. Sie werfen Dinge um, lassen Türen zufallen. Nicht mehr. Einige jedoch sind mächtig. Können sich materialisieren. Zumindest für kurze Zeit.«
»Sind das die Seelen der Toten?« fragte Mat erstaunt.
»Manche behaupten das. Ich halte es für möglich«, räumte Gabriel ein.
Mat schwieg. Er hatte lange darüber nachgedacht. Lange gegrübelt. Nächtelang wachgelegen. Und er hatte sich entschieden. »Schenk mir den Tod, Gabriel. Ich habe niemanden, den ich sonst darum bitten kann.«
Schmerzerfüllt sah Gabriel ihn an.
»Es gibt nichts, was mir friedvoller erscheinen würde. Ich habe so lange gelitten, ich habe so lange gekämpft. Und doch hat die Krankheit mich besiegt. Ich habe längst dafür bezahlt, daß ich so mit mir selbst umgegangen bin. – Und ich bin dir so dankbar für deine Freundschaft. Dafür, daß du dich nicht abgewandt hast, wie so viele andere. Und jetzt bitte ich dich um etwas, was nur du mir schenken kannst. Und ich weiß, daß ich es eigentlich nicht erwarten kann. Doch ich bitte dich darum.« Mats Stimme klang wie das Gewisper des Windes in den Bäumen. Es schien nicht aus seinem Mund zu kommen.
Gabriel blinzelte den Rotschleier vor seinen Augen beiseite. »Wenn es wirklich dein Wunsch ist ...«
»Ja, mein einziger, mein letzter...«
Gabriel nahm seinen Freund ein letztes Mal in den Arm. Er spürte die Knochen, das müde Rauschen des Blutes. Fest drückte er ihn an sich. Dann senkte er seine Zähne in die pergamentartige Haut an Mats Hals. Er trank in vollen Zügen, schmeckte das kranke Blut, das bitter durch seine Kehle rann und wußte schon jetzt, daß es ihm nichts anhaben konnte. Keine Krankheit konnte ihn besiegen.
Der letzte Herzschlag verklang wie ein weit entfernter Gong. Ein letzter Seufzer verließ Mats toten Körper.
Gabriel starrte ihn an. Drückte ihn noch einmal an sich, verschloß dann seine gebrochenen Augen. Er weinte lautlos. Legte Mats Körper zurück in den kühlen Sand. Mit seinen Tränen verschloß er die roten Male, mit denen er Mats Schicksal besiegelt hatte.
So wartete er. Weinend und schweigend. Ging schließlich bis ans Wasser und spülte sich die roten Spuren seiner Trauer aus dem Gesicht. Das Wasser brannte, aber nicht schlimmer, als die Tränen.
Gabriel wartete auf Niklas. Dann würde er sich um nichts mehr kümmern müssen.
Niklas blieb noch eine Weile in Frankreich, denn Mats Körper wurde dort beigesetzt. Gabriel hatte es nicht über sich gebracht, bis zur Beerdigung dort zu bleiben. Er war bereits in der nächsten Nacht nach England zurückgeflogen.
Er wußte, daß er Mat erlöst hatte, trotzdem fühlte er sich elend. Warum nur hatte der sein Angebot nicht angenommen? Er hätte ihn so gern an seiner Seite gehabt.
Mit roten, verquollenen Augen betrat Gabriel das Haus. Er hatte nicht geläutet, und doch stand Alex vor ihm, als er die Tür hinter
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