Julians süßes Blut (German Edition)
ich mir nicht vorstellen.«
Zwölf
The wind’s tapping out a message for us
It’s a message I already know.
Strangelove
»Mashour?« Jessicas Stimme war hell und klar. Mit zierlichen Schritten stapfte sie über die große Wiese. Und es dauerte nur einige Sekunden, bis der kleine Araber auf sie zugetrabt kam. Mit unendlichem Vertrauen sah er sie an und blieb kurz vor ihr stehen.
»Hallo, mein Schöner«, sagte sie leise und holte eine Möhre aus ihrer Tasche. Dann streifte sie ihm das Halfter über und führte ihn Richtung Stall.
Sie war froh, als sie den Holzbalken hinter sich schließen konnte und kein anderes Pferd versucht hatte, hinter ihnen aus der Weide herauszuschlüpfen. Das war nämlich schon einige Male passiert. Und Adam war meist ziemlich wütend gewesen, wenn er mithelfen mußte, die Pferde wieder einzufangen.
Jessica führte Mashour in die Stallgasse, putzte ihn rasch, sattelte ihn und trenste ihn auf. Sie war froh, daß er so zierlich war. Sie brauchte nicht einmal auf den Hocker zu klettern, um ihn aufzusatteln. Den hatte sie früher immer gebraucht. Aber sie war in der letzten Zeit auch ein ganzes Stück gewachsen. Ihre Mutter hatte neulich gesagt, daß sie schon eine richtige kleine Frau war. Und Jessica hatte sich danach – als sie allein war – lange im Spiegel betrachtet. Ja, ihre Mutter hatte recht gehabt. Was sie jedoch nicht wußte, war, daß Jessica in ihrer geistigen Entwicklung noch ein ganzes Stück weiter war. Sie bemühte sich auch, das niemandem zu zeigen. Sollten sie doch alle glauben, sie sei ein kleines, braves, schüchternes Mädchen. Das war nur gut für sie.
Sie streichelte Mashours samtweiche Nüstern. »Aber du kennst mich, nicht?« Sie lachte leise.
Dann schwang sie sich auf Mashours Rücken und ritt aus der Stallgasse hinaus. Die Luft war angenehm feucht. Der Wind blies einen würzigen Herbstgeruch vor sich her. Jessica atmete ihn in vollen Zügen ein. Für einen winzigen Moment schloß sie die Augen. Wie schön wäre es jetzt, wenn Alex an ihrer Seite ritte.
Sie bog auf einen kleinen Waldpfad ab, der neben einer der Wiesen begann. Mashour schnaubte ausgelassen. Jessica trabte an.
In einem flotten Tempo ritt sie zwischen den dicht zusammenstehenden Bäumen hindurch, entlang des Pfades. Sie genoß Mashours kraftvolle Bewegungen und den Wind, der ihr den Atem raubte.
Als sie tiefer in den Wald vordrang, parierte sie durch zum Schritt. Ihre Gedanken schweiften ab. Weg von dem schönen Pferd, auf dem sie saß, weg von dem Ausritt, weit weg von allem, was sie umgab.
Sie dachte an Alex. Und ein kleiner Schauder lief über ihren Rücken. Sein feines bleiches Gesicht hatte sich in ihre Erinnerung eingebrannt. Und seine großen dunkel-blauen Augen. Sie lächelte, als eine Welle der Zuneigung über sie hinwegspülte. Er war so unmenschlich, so unterdrückt wild. Ein feines, unberechenbares Tier.
Hatte er gespürt, daß sie ihm weit mehr als bloße Sympathie entgegenbrachte? Einerseits hoffte sie es, aber andererseits fürchtete sie sich davor. Denn sie hatte sich zum ersten Mal in ihrem Leben verliebt.
An diesem Abend rief Alex bei ihnen an. Jessica war gerade dabei zu Abend zu essen, da hörte sie ihre Mutter sagen: »Ja, bestimmt, Alexander. Ich werde sie sofort fragen.« – »Ja, du weißt ja, wie Kinder in dem Alter sind.« – »Könnt ihr heute noch vorbeikommen? Dann könnten sie sich schon mal kennenlernen.« – »Ja, schön. Dann also bis gleich. Aber ich warne dich. Vielleicht sind die beiden sich überhaupt nicht grün.« – »Ja, ja bis gleich.«
Jessica lief zu ihrer Mutter. »Alexander kommt noch zu Besuch?«
Jennifer lächelte. »Ja, er bringt den Bruder von Brian mit. Er meint, Julian hätte vielleicht mal Lust etwas reiten zu lernen. Er ist nur etwas älter als du.«
Jessica rümpfte die Nase. »Du weißt doch, wie die Jungs in dem Alter sind...«
»Reiß dich etwas zusammen, Liebes. Ich möchte nicht, daß du ihn gleich aus dem Haus ekelst«, ermahnte Jennifer ihre Tochter sanft.
Jessica zuckte mit den Schultern. »Ich werde mich bemühen.«
Nervös rutschte Julian auf dem Sitz hin und her.
»Was ist los mit dir? Fahre ich so schlecht?« fragte Alex amüsiert.
Julian starrte ihn an. »Nein, wieso?«
»Weil du so entsetzlich unruhig bist, mein Lieber. Du machst den Eindruck, als hätte ich dich zum Tode verurteilt.«
»Wenn ich mit dir irgendwo hinfahre, fühle ich mich auch immer so«, murmelte Julian. Alex legte
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