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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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runzelte die Stirn und murmelte etwas, das sie nicht verstand. »Was wollen Sie dann von mir? Was kann ich denn da tun?« Er schüttelte den Kopf.
    »Ich bin auf der Suche nach ihr.« Ruby sah zu ihm hoch.
    Er seufzte schwer. »Wie hieß sie? Nein, sagen Sie es mir nicht, ich kann keine Namen behalten. Kommen Sie herauf. Kommen Sie.« Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, die Treppe hochzukommen.
    »Ich habe ein Porträt von ihr auf Ihrer Website gesehen«, erklärte Ruby, während sie die Wendeltreppe hinaufstieg. Die Steinwände schienen ihre Worte beinahe zurückzuwerfen. »Ich will nur mit ihr reden, nichts weiter.«
    »Ach, nichts weiter?« Jetzt befand sie sich auf einer Ebene mit Enrique Marín, der sie von oben bis unten musterte.
    Ruby richtete sich hoch auf. Der Mann war alt genug, um ihr Vater zu sein   – noch älter sogar   –, aber trotzdem zog er sie mit seinen Blicken aus, und er machte keinerlei Hehl daraus. War das noch der Blick eines Künstlers? Vermutlich nicht. Aber ihm war das offensichtlich völlig egal.
    »Sie hatte langes blondes Haar und blaue Augen«, erklärte Ruby. »Ich kann Ihnen das Bild zeigen.«
    »Nicht nötig, nicht nötig.« Er drehte sich um und bedeutete ihr, ihm zu folgen. »Kommen Sie mit.«
    Sie betraten einen hellen, luftigen, wunderbaren Raum, der auf allen Seiten Fenster hatte. Es war sein Atelier, das war Ruby sofort klar. Ein Künstleratelier voller Leinwände, Staffeleien und auf Böcken stehender Tischplatten, die sich unter Farben, Pinseln und anderen Utensilien bogen. Automatisch trat sie ans Fenster. Von hier aus konnte sie das Meer, die Lagunen und sogar diesen Leuchtturm sehen. »Es ist wunderbar hier oben«, hauchte sie. Ein Blick aus der Vogelperspektive.
    »Ja, ja.«
    Er klang ungeduldig. Sie fragte sich, warum es nicht nötig war, ihm das Foto zu zeigen.
    »Das ist sie, sí ?«
    Ruby fuhr herum. Enrique Marín hielt eine Leinwand in der Hand. Das Bild zeigte eine Frau   – Laura   –, die auf einem flachen Fels am Strand saß. Sie trug einen indigoblauen Sarong und eine weite, cremefarbene Bluse. Die Beine hatte sie angezogen, und sie lehnte sich leicht auf die Hände zurück. Ihr Haar wehte im Wind. Sie schaute aufs Meer hinaus und wirkte so trostlos wie die Landschaft, vor der er sie dargestellt hatte. Laura   … »Ja«, sagte sie. »Das ist sie.« Sie drehte sich zu ihm um. »Woher wussten Sie das?«
    Er zuckte die Achseln. »Sie sehen aus wie sie.«
    »Tatsächlich?«
    »Ist mir gleich aufgefallen.« Seine schwarzen Augen waren scharf. »Ich habe dieses Mädchen gern gemalt.« Er stieß ein raues Kichern aus. »Auch Sie würde ich malen, wenn ich noch die Kraft dazu hätte.«
    Ruby dachte an Andrés. Was würde Enrique sagen, wenn er wüsste, dass sein Sohn ihm zuvorgekommen war? Andrés hatte sie nicht gemalt, nein, aber er hatte ein Porträt von ihrgezeichnet, als sie auf der Klippe am goldenen Kap gesessen hatten. Sogar Ruby konnte sehen, warum Enrique Marín sie erkannt hatte. Sie ähnelten einander. Auf dem echten Bild war das noch deutlicher zu sehen. Wie eine Fremde, dachte sie wieder. Wie eine Fremde, die man trotzdem immer gekannt hat   …
    »Warum haben Sie dieses Bild nie verkauft?«, fragte Ruby ihn. Schließlich verkauften Künstler ihre Arbeiten im Allgemeinen, wenn sie konnten.
    Er zuckte die Achseln. »Ich habe ein paar Drucke davon gemacht. Ich bin halt ein sentimentaler Esel.«
    Ruby hatte bislang nicht diesen Eindruck gehabt. »Können Sie mir etwas über sie sagen?«, fragte Ruby ihn. »Wissen Sie, ob sie noch hier lebt?«
    Er zuckte die Achseln. »Ich wusste nicht einmal damals etwas über sie«, antwortete er. »Ich kannte nur ihre Traurigkeit und ihren Knochenbau. Ansonsten erinnere ich mich nur, dass sie stundenlang still sitzen konnte.« Wieder lachte er, doch das Lachen schlug in einen krächzenden Husten um, der tief aus seinem Inneren aufzusteigen schien. »Warum sollte ich auch mehr wissen? Mir war das gleich. Was war wichtiger, reden oder malen, was?«
    Ruby verstand, was er meinte. Trotzdem musste er doch noch irgendetwas anderes wissen.
    »Sie war ein ziemlicher Freigeist, dieses Mädchen.« Er lachte leise in sich hinein. »Keine Ahnung, ob sie noch hier auf der Insel lebt. Aber ich mochte sie gern.« Er rieb sich die Hände. »Ja, ich mochte sie.«
    »Und mehr können Sie mir nicht sagen?«, fragte Ruby. Vielleicht war es ja eine Sackgasse, aber wenigstens wusste sie jetzt genau, dass Laura hier gelebt

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