Julias Geheimnis
Eingangshalle in die oberen Bereiche führte, und weiter in die Küche. Sie war mit allen modernen Annehmlichkeiten ausgestattet. Mit ihren bunten Fliesen und Vorhängen sah sie jedoch immer noch wie eine spanische Küche aus.
Reyna Marín lud Ruby ein, auf einem der Holzstühle am Tisch Platz zu nehmen. Sie schob ein Hackbrett mit Gemüse, das sie geputzt hatte, beiseite.
Wieder fragte sich Ruby, wie das Leben dieser Menschen aussehen mochte. Es berührte sie, dass Reyna Marín – und Enrique wahrscheinlich auch – trotz seines Erfolgs das einfache Leben vorzuziehen schienen, das sie vermutlich immer geführt hatten.
»Wie geht es Andrés?«, fragte seine Mutter zögernd.
»Es geht ihm sehr gut.«
Reyna Marín sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Schnell und leise sagte sie etwas auf Spanisch. Rubykonnte ihre Worte nicht verstehen, aber sie spürte die Gefühle dahinter.
»Was würde ich nicht darum geben, ihn zu sehen«, setzte sie hinzu. Sie schlang die Arme um die Brust und wiegte ihren Körper langsam hin und her. »Was würde ich nicht darum geben, ihn wieder in den Armen zu halten.« Sie schloss die Augen. »Andrés. Meinen Sohn …«
Ruby stand auf, legte den Arm um Andrés Mutter und versuchte, sie zu trösten. Zuerst Isabella und jetzt Reyna. Warum wollte er nur nicht nach Hause kommen? Und noch ein anderer Gedanke kam ihr. Hier war noch eine Frau, die – wie Laura – den größten Teil ihres Lebens ohne ihr Kind verbracht hatte. Was immer zwischen Enrique und Andrés vorgefallen sein mochte, es war eindeutig, dass Reyna ihren Sohn liebte. Ruby konnte ihren Schmerz nachempfinden.
Reyna riss die Augen auf. Ihr Blick wirkte leer, als wäre ihr plötzlich bewusst geworden, dass sie nicht allein war. »Sie möchten Kaffee, sí ?«, fragte sie.
»Ja, bitte«, sagte Ruby.
Reyna füllte Wasser und Kaffee in die Espressokanne und stellte sie auf den Herd. »Sie sagten, dass Sie mit meinem Mann über Ihre Mutter sprechen wollen?«
»Ich möchte ihre Spur verfolgen.«
Reyna schien sie nicht zu verstehen. Sie runzelte die Stirn.
»Sie suchen.« Ruby seufzte. Sie konnte dieser Frau ebenso gut die ganze Geschichte erzählen. »Sie hat mich weggegeben, als ich noch ein Baby war«, erklärte sie.
Wieder sagte Reyna etwas auf Spanisch, ging zur Tür und schaute die Treppe hinauf. Ihr war sichtlich nicht wohl bei dem Gespräch. »Ein Baby«, wiederholte sie und schüttelteden Kopf. Ruby fragte sich, ob das eine Reaktion auf ihre Worte war oder ob sie an ihre eigenen Kinder dachte.
»Ich habe auf der Website Ihres Mannes ein Porträt meiner Mutter gesehen«, erklärte sie.
»Ein Porträt?« Erneut verdunkelte sich ihr Blick. »Ein Porträt, sagen Sie?« Ihre Miene wurde düsterer.
»Ich habe mit Andrés gesprochen …«
Reyna beobachtete sie aufmerksam. Ruby wurde klar, dass sie nervös war. Aber warum? War es nur wegen Andrés, oder steckte mehr dahinter?
Was sollte sie ihr nur sagen? »Ich bin mir sicher, dass er Sie alle vermisst«, sagte sie matt.
»Und wir vermissen ihn.« Reyna Marín stand auf, um den Kaffee einzuschenken. »Wir vermissen ihn so sehr.«
»Reyna?«, rief eine Männerstimme von oben. Das konnte nur Enrique sein.
» Sí ?« Reyna seufzte. Sie ging hinaus und antwortete etwas auf Spanisch.
»Ich verspreche auch, ihn nicht zu ermüden«, erklärte Ruby, als sie wieder in die Küche trat.
»Hallo!«, rief er, dieses Mal auf Englisch. Seine Stimme klang guttural und belegt. Einst musste sie kräftig gewesen sein, aber jetzt hörte Ruby die Schwäche darin.
Sie ging hinaus in die Eingangshalle. Er stand oben auf der Wendeltreppe, aber sie erblickte nicht den großen Künstler, den sie erwartet hatte, sondern einen kleinen, abgemagerten Mann von ungefähr siebzig Jahren. Sie war schockiert. Nach den Fotos auf seiner Website hätte sie ihn kaum erkannt. » Hola, señor «, sagte sie. Damit waren ihre spanischen Sprachkenntnisse allerdings auch schon erschöpft.
»Wer sind Sie?« Kaum hatte er gesprochen, hustete er.Doch er erholte sich rasch und stand nun deutlich gerader da und blickte auf sie herab. Ruby nahm einen Abglanz dessen wahr, was er einst gewesen war. Es lag in seiner Haltung, es war die Ausstrahlung, die ihn trotz seiner Krankheit noch umgab.
»Mein Name ist Ruby Rae. Ich bin hergekommen, um mit Ihnen zu sprechen.« Sie holte tief Luft. »Ich glaube, Sie haben vor vielen Jahren einmal meine Mutter gemalt.«
»Ihre Mutter, ja?« Er
Weitere Kostenlose Bücher