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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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hatte   – früher einmal.Mit jemandem zu sprechen, der sie gekannt, der sie gemalt hatte, half Ruby auch, ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, wer sie war.
    » Sí .« Ein wenig mühsam bewegte er sich zum anderen Ende des Ateliers. »Ich bewahre alle meine alten Skizzen und Rohfassungen auf   – und auch einige der Originale. Das ist das Vorrecht des Künstlers, oder?«
    »Wahrscheinlich.« Ruby lächelte.
    »Und Sie?«
    »Ich?«
    »Ja, was machen Sie? Sind Sie genauso frei wie Ihre Mutter?«
    »Nein, das bin ich nicht. Ich bin Journalistin. Und ich spiele Saxofon. Jazz.«
    Er unterbrach seine Tätigkeit und sah sie lange an. »Aha. Also das tun Sie?«
    Sie nickte, und er fuhr fort, den Bilderstapel durchzusehen.
    »Ihre Mutter, ja?« Er nickte. »Dann wollen Sie sicher auch den Rest sehen, hmmm?«
    Ruby verabschiedete sich von Reyna Marín, die ihr die Hand drückte und sie ansah, als suche sie nach der Antwort auf eine Frage. »Kommen Sie bitte wieder, Ruby«, sagte sie.
    Dann verließ sie die Casa Azul und zog ihr Handy hervor, um Andrés anzurufen.
    Es war wie eine Offenbarung gewesen. Sie hatte mit dem Vater gesprochen, und jetzt wollte sie mit dem Sohn reden.
    »Ruby.«
    Wenigstens ging er ans Telefon. »Hallo, Andrés«, sagte sie so ruhig wie möglich.
    »Du bist also dort?«
    Ruby hatte das Ende der Straße erreicht und bog nach rechts ab, wie Enrique es ihr erklärt hatte. »Ja, ich bin hier«, antwortete sie.
    Sie hörte, wie er den Atem ausstieß. »Und? Ist es der richtige Ort?« Obwohl er klang, als wüsste er das schon.
    »Ja, das ist er.« Sie dachte an den Leuchtturm, den sie in der Ferne gesehen hatte, und an die Bucht mit dem türkisfarbenen Wasser und dem schwarzen Vulkanfelsen. »Aber ich habe keine Ahnung, ob sie noch hier ist.«
    »Menschen kommen, und Menschen gehen«, hatte Enrique ihr mit seiner barschen Stimme erklärt. »Manche Menschen bleiben für immer hier. Dieser Ort   – er packt einen. Hier.« Und er hatte sich an die Brust geschlagen.
    War Laura für immer geblieben? Enrique erklärte Ruby, dass er sie seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen habe. Aber an einem Ort wie diesem habe das gar nichts zu bedeuten. Die meiste Zeit halte er sich in seinem Atelier auf, sagte er. Auch nach Rosario fuhr er gelegentlich, aber er suchte die Art von Orten, an denen sich Laura aufhalten würde, nicht auf. Nicht mehr.
    »Und wohin willst du jetzt?«, fragte Andrés. Er klang sehr kühl und förmlich. Sie wünschte, er wäre hier. Dann könnte sie ihn packen und ihn zwingen, ihr zu sagen, was er wirklich empfand.
    »Zum Kloster«, sagte sie.
    »Zum Kloster?« Er klang verblüfft, was nicht erstaunlich war.
    »Das ist eine seltsame Geschichte.«
    Enrique hatte ihr von einer Nonne namens Schwester Julia erzählt, die in dem Kloster außerhalb des Dorfs lebte. Er hatte ihr auch erklärt, wie man dort hinkam. Es sei nicht weit,hatte er gesagt, ein paar Kilometer, mehr nicht. »Ich habe sie getroffen«, sagte er. »Mehrmals.«
    »Ja?« Ruby war verwirrt. Was hatte das mit Laura zu tun? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Laura in irgendeiner Verbindung zu einer Nonne stand.
    »Sie ist alt«, sagte Enrique. »Aber sie weiß Dinge.« Er tippte sich an die Nase.
    »Dinge?«
    Er zuckte mit den Schultern. »In Nuestra Señora del Carmen werden Aufzeichnungen geführt. Die Nonnen wissen, wo man Menschen findet. Und Schwester Julia   – sie interessiert sich für Kinder, für ihre Mütter, ihre Väter   …« Seine Stimme wurde leiser und ging in ein Husten über.
    »Dann glauben Sie   …«
    »Sprechen Sie einfach mit ihr.« Seine Schultern sackten nach vorn, und er wedelte mit der Hand. Ruby wurde klar, dass er sie entließ. »Reden Sie mit ihr.« Aus einem unerfindlichen Grund schien ihm das wichtig zu sein.
    »Wer hat dir denn gesagt, dass du dich mit einer Nonne treffen sollst?«, fragte Andrés.
    Ruby wappnete sich. »Dein Vater.«
    »Aha.« Er seufzte. »Dann hast du ihn getroffen.« Er klang resigniert.
    »Er ist krank, Andrés.« Nach Enriques Anweisung schlug Ruby die lange, gerade Straße ein, die aus der Stadt hinausführte. Sie war von Dattelpalmen gesäumt. Rechts und links gab es außerdem ein paar heruntergekommene Bars, vor denen Männer saßen und Bier tranken. »Er ist sehr krank.«
    »Ich weiß.«
    »Er könnte sterben.«
    »Auch das weiß ich.«
    Jetzt war es Ruby, die seufzte. Der Gedanke, dass der Mann, den sie so gern mochte, sich seinem eigenen Vater gegenüber so

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