Julias Geheimnis
lachten und … Andrés schloss die Tür. Er wollte nicht mehr sehen. Er konnte nicht. Und er wusste, dass es schon andere gegeben hatte – viele andere.
An diesem Abend, als Isabella eine Freundin besuchen gegangen war, erzählte er seinen Eltern beim Abendessen, was er gesehen hatte.
»Ich bin heute Nachmittag zurück nach Hause gekommen«, erklärte er. »Ich bin hinauf ins Atelier gegangen.«
Seine Mutter stand vom Tisch auf und begann, die Teller abzuräumen.
»Ich habe dich mit Stella gesehen«, sagte er an seinen Vater gerichtet. »Wie kannst du sie nur so ausnutzen?«
Sein Vater zuckte die Achseln. »Sie will unbedingt gemalt werden«, antwortete er.
»Gemalt!« Andrés lachte. Er drehte sich zu seiner Mutter um, doch die öffnete und schloss Schränke und interessierte sich anscheinend nicht für ihr Gespräch. »Allzu viel Malerei habe ich nicht gesehen.«
»Was weißt du schon über Frauen und ihre Bedürfnisse?«, knurrte sein Vater. »Du bist noch ein Kind.«
Andrés richtete sich gerade auf. »Du nutzt sie aus. Sie hält dich für einen großen, wichtigen Mann. Sie ist jung und dumm. Und du schläfst mit ihr und ruinierst ihr Leben.«
Sein Vater saß einfach am Tisch und beobachtete ihn. Andrés meinte sogar, ein süffisantes Lächeln um seine Lippen spielen zu sehen. Worüber sollte er sich Sorgen machen? Er herrschte schließlich über sie alle.
»Still, Andrés!« Seine Mutter kam wieder zum Tisch gehuscht. Was er sagte, schien sie mehr zu schockieren als das, was passiert war. »Du weißt ja nicht, was du sagst.«
»Ich weiß genau, was ich sage.« Er sah seinem Vater direkt in die pechschwarzen Augen. Andere hätten den Blick vielleicht abgewandt, aber Andrés würde so etwas nie tun. »Ich habe die beiden gesehen. Sie waren nackt. Ich habe gesehen, wie er sie berührt hat. Es war ekelhaft.«
»Du lügst, Junge«, sagte sein Vater. Er trank noch einmal von seinem Bier.
»Ich weiß, was ich gesehen habe.« Andrés Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. Er tat das alles, um seine Mutter zu beschützen, um seinen Vater als den Mann bloßzustellen, der er war. Warum nur hatte er plötzlich das Gefühl, dass sich beide gegen ihn gewandt hatten?
»Nimm das zurück«, brummte sein Vater.
»Nein.«
»Nimm es zurück!«
»Ich habe dich mit ihr gesehen«, schrie Andrés. »Ich weiß, was du tust, was du bist. Die Leute halten dich für einen großen Mann. Aber das bist du nicht. Nein. Du bist ein dreckiger …«
»Genug!« Sein Vater brüllte laut genug, um Tote aufzuwecken. »Verlass mein Haus.«
»Enrique …« Erst jetzt versuchte seine Mutter, ihrem Mann Einhalt zu gebieten. »Enrique, nein …«
»Verlass mein Haus, Junge!«, brüllte er. »Tritt nie wieder über diese Schwelle. Und wage es bloß nicht zurückzukommen.«
Andrés fuhr fort, die Rohre mit der Metallsäge in handliche Stücke zu schneiden. Irgendwann brach das Sägeblatt, und er musste ein neues einspannen.
Und so war er gegangen.
Diese Frauen … Diese Mädchen … Wenn Ehe das bedeutete, dann wollte er nichts damit zu tun haben.
Aber jetzt musste er zurück. Er hatte geglaubt, eine Rückkehr auf die Insel vermeiden zu können, aber das war jetzt nicht mehr möglich. Er musste zurück. Eigentlich hätte er jetzt bei Ruby sein müssen; sie brauchte ihn. Und wenn Enrique wirklich starb? Dann würde er seiner Mutter und Isabella zur Seite stehen müssen. Er hatte auch eine Verantwortung. In seiner Brust spürte er einen Schmerz, und er atmete tief ein. Er versuchte den Schmerz loszuwerden, versuchte, sich zu befreien. Doch sein Vater war sein eigen Fleisch und Blut.
Er hatte das Gefühl, es sich selbst schuldig zu sein. Es gab da noch ein Gespenst, das er begraben musste. Er musste nach Hause fahren.
Und Ruby …
Er dachte an das Bild von dem schönen jungen Mädchen mit dem langen, blonden Haar und den traurigen blauen Augen, das sein Vater gemalt hatte. Er musste herausfinden, ob Rubys Mutter eines dieser Mädchen gewesen war.
39. Kapitel
K ommen Sie heute Nachmittag noch einmal zur casa «, hatte Isabella gesagt, als sie auseinandergegangen waren. »Ich rede mit Mama. Dieses Mal wird sie Sie hereinlassen.«
Und so stand Ruby wieder vor dem Haus und wartete.
Reyna Marín kam an die Tür. »Kommen Sie herein«, sagte sie. »Sie sind eine Freundin meines Sohnes. Bitte, Sie müssen hereinkommen.«
»Danke.« Ruby folgte ihr ins Haus, vorbei an einer Wendeltreppe, die von der
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