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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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es großzogen, während sie selbst eiligst wieder nach Fuerteventura zurückgekehrt war, um mit ihrem spanischen Freund zusammenzuleben und ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen, dass sie sich von Enrique Marín malen ließ, in Bars sang und spielte und Ferienwohnungen putzte. War sie stark gewesen? War sie deswegen in der Lage gewesen, Ruby aufzugeben, damit sie etwas führen konnte, was sie vielleicht als besseres Leben betrachtet hatte? Weil sie stark war? Hatte Ruby das alles bisher aus einer vollkommen falschen Perspektive gesehen? Nachdenklich legte sie die Stirn in Falten. Sie hatte Mitleid mit dem Mädchen empfunden, das seine Mutter verloren hatte, das bestimmt nicht mehr weitergewusst hatte und sein Baby loswerden wollte, weil es einfach nicht damit fertigwurde. Sie wusste, dass Vivien auch diese Art von Mitleid für Laura empfunden hatte. Aber jetzt wurde Ruby klar, dass es vielleicht gar nicht so einfach war. Laura hatte andere Werte besessen, ein anderes System von Überzeugungen   – vielleicht immer schon. Vielleicht hatte sie auf ihr eigenes Kind nicht nur verzichtet, weil Ruby nicht zu dem freien Leben gepasst hätte, das Laura liebte, sondern auch, weil Laura so stark war, dass sie sie nicht zu halten brauchte. Das klang eigenartig, hatte aber auch Hand und Fuß.
    »Warum ist sie fortgegangen?«, fragte sie Trish.
    »Keine Ahnung.« Trish hob ratlos die Hände. »Eines Tagesbin ich aufgestanden, und ihre Tasche war weg. Laura auch. Sie war einfach weitergezogen.«
    »Meinen Sie, für immer?«
    »Ich weiß nicht, wieso   …« Trish zögerte. »Wahrscheinlich sollte ich Ihnen das nicht sagen. Aber seit Laura weg ist, habe ich ein ganz starkes Gefühl.«
    »Was für ein Gefühl?«, fragte Ruby. Was sollte sie ihr nicht sagen?
    »Dass sie vielleicht eines Tages zurückkommt.«

44. Kapitel
    A ndrés fiel auf, dass sein Vater sich anders als sonst verhielt. Ja, er war immer noch ein mieser alter Bastard, vielleicht mehr denn je, weil er krank war. Aber   … War der Krebs der Grund? Hatte der Alte seinen Biss verloren? Und was in aller Welt konnte er ihm zu sagen haben? Dass es ihm leidtat? Dass er am liebsten alles rückgängig machen würde, was er je getan hatte, um ihn herabzusetzen, oder was ihm das Gefühl vermittelt hatte, nicht geliebt zu werden? Wahrscheinlich hoffte er da vergebens.
    Aber sein Vater ließ sich nicht weiter darüber aus, was er zu sagen hatte. Er trat einfach an das gegenüberliegende Fenster und starrte hinaus auf die Berge. Gott allein wusste, was es da zu sehen gab.
    »Was ist mit deinen Themen?«, wollte Andrés wissen, denn er hoffte, damit zu den Fragen überleiten zu können, die er stellen wollte. »Malst du immer noch das Gleiche?«
    »Sieh es dir doch selbst an.« Mit einer weit ausholenden Geste gewährte Enrique ihm Zugriff auf alles, was sich in dem hellen, luftigen Atelier befand.
    Andrés hatte bereits einige der Lieblingsthemen seines Vaters auf Leinwänden erspäht, die im Atelier verteilt waren: biblische Szenen mit Feuer und Flut in dramatischen, dick aufgetragenen Farben, die farbenprächtige, burleske Wiedergabe der fiesta -Prozession im Dorf, ein uralter Wald, der dem Erdboden gleichgemacht wurde, ein Vulkan, der einen Fluss heißer, flüssiger Lava über braune Erde ergoss   …
    Aber er meinte etwas anderes. »Malst du auch immer noch Frauen?«
    »Ah, die Frauen.« Enrique beugte sich auf seinem Stuhl vor und setzte eine nachdenkliche Miene auf. »Sie sind einfach viel zu schön, findest du nicht? Zu verlockend.«
    »Um Himmels willen.« Andrés zog sich auf die andere Seite des Ateliers zurück und schämte sich, wie schon so oft in der Vergangenheit, für seinen eigenen Vater. Andrés verstand nicht, wie ein großer und talentierter Künstler seine Fähigkeiten auf diese Art missbrauchen konnte? Seine Mutter hatte einmal gesagt, dass zu jedem großen Künstler auch eine dunkle Seite gehörte, aber Andrés konnte das nicht akzeptieren. Das war einfach nur eine faule Ausrede, um schlechtes und unangemessenes Benehmen zu entschuldigen, oder? Würde er sich denn niemals ändern? Er war ein Mann in den Siebzigern, der Lungenkrebs hatte, aber er war immer noch ein lüsterner alter Bastard   – zumindest im Kopf.
    »Ich gestehe, dass ich weiter gegangen bin, als es richtig war.«
    Andrés fuhr herum. Hatte er richtig gehört? Gestand sein Vater ein, dass er falsch gehandelt hatte?
    Enrique hatte die Hand gehoben. Doch jetzt ließ er sie sinken und

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