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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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»Nein, nein   …«, schrie sie und versuchte, das Bett zu verlassen. Sie wurde hysterisch.
    Dr. López’ Gesichtsausdruck wechselte abrupt von Mitgefühl zu Verärgerung. »Schwester Julia«, fauchte er, »ein Beruhigungsmittel, bitte.«
    Schwester Julia lief davon, um das Beruhigungsmittel zu holen. Sie konnte es nicht glauben. Das Kind hatte so gesund gewirkt. Und doch wurde sie dieses schreckliche Gefühl, dass etwas nicht stimmte, nicht los.
    »Kinder werden ohne die natürliche Abwehr geboren, die Sie und ich besitzen, Schwester Julia«, erklärte Dr. López betrübt, während er sie aus dem Kreißsaal hinausbegleitete. »Manchmal können wir sie nicht beschützen und sie nicht retten. Es ist Gottes Wille, sie sofort zu sich zu nehmen. Das müssen wir akzeptieren.«
    Schwester Julia senkte den Kopf. Sie wusste, dass er getanhatte, was er konnte, um das Kind zu retten. Er war selbst bestürzt, auch wenn er seine Gefühle gut verbarg. »Kann sie denn ihr Kind später sehen, wenn sie sich beruhigt hat?«, fragte sie ihn.
    »Ich glaube nicht«, gab Dr. López schroff zurück. »Was nützt es, über die Vergangenheit nachzugrübeln? Sie muss jetzt in die Zukunft schauen.«
    Schwester Julia rang die Hände. Leonora musste ihren Sohn sehen, das war ihr klar. Sie musste Abschied nehmen können, sonst würde sie vielleicht für immer traumatisiert bleiben. Schwester Julia erinnerte sich an ihren friedlichen Gesichtsausdruck, nachdem das Kind geboren worden war. All die langen Monate, in denen das Baby in ihrem Bauch gewachsen war, die ganzen Schmerzen, die es gekostet hatte, ihn zur Welt zu bringen. Und jetzt das.
    »Ich bin mir sicher, dass sie in der Lage wäre, den Anblick des Kindes auszuhalten, wenn ich nur kurz ruhig mit ihr sprechen dürfte«, sagte sie. »Das könnte ihr helfen, sich eine Zukunft ohne ihr Kind vorzustellen.«
    »Ihr totes Kind, Schwester«, erinnerte der Arzt sie.
    »Aber, Doktor   …« Schwester Julia wusste, dass sie nicht so viel Mitgefühl entwickeln sollte und sich vielleicht allzu sehr in die Sache hineinsteigerte, aber sie konnte nichts dagegen tun. Ja, Leonoras Kind war tot, und es würde sie aufwühlen, es zu sehen. Aber wenn sie es nicht zu sehen bekam   … »Ich habe das Gefühl, dass sie es braucht   …«
    »Ach ja, Schwester?« Dr. López öffnete die Tür zu seinem Sprechzimmer und bedeutete ihr schroff einzutreten. »Sie glauben, Sie können für ihre Gefühle bürgen, ja? Sie haben das Gefühl, dass Sie genau wissen, was diese Frau braucht?«
    Schwester Julia nahm ihre gesamte Willenskraft zusammen, was ihr schwerfiel, denn durch das Leben im Kloster hatte sie nun schon seit so vielen Jahren Fügsamkeit und Gottvertrauen kultiviert. »Ich glaube ja, Doktor«, sagte sie.
    »Sie wissen also besser als ich, was gut für diese Frau ist, ja, Schwester?« Seine Stimme klang gefährlich ruhig. »Sie, eine Frau, die im Kloster lebt, die außerhalb dieser Klinik und ihres eigenen Klosters keine Ahnung von der realen Welt hat? Sie glauben, dass Sie es besser wissen als ich?«
    »Oh nein, Doktor, verzeihen Sie mir.« Schwester Julia senkte den Kopf. Das hatte sie gar nicht gesagt. Wie hätte sie es auch besser wissen können als er? Sie hatte nur ihre Gedanken, ihre Gefühle äußern wollen   …
    »Schweigen Sie still.« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Und hören Sie auf jemanden, der Bescheid weiß.«
    Seine Hand fühlte sich bleischwer an, und Schwester Julia konnte ihr Gewicht kaum ertragen.
    »Das wäre zu traurig für sie«, sagte er. »Sie befindet sich nach der Geburt in einem gefährlichen, verletzlichen Zustand. Vertrauen Sie mir, Schwester Julia, es ist besser so.«
    Später am Tag schickte Dr. López Schwester Julia in sein Sprechzimmer. Sie sollte einen Bericht holen, den er dort vergessen hatte. Auf seinem Schreibtisch sah sie den Totenschein von Leonoras Kind. Sie musste ein Schluchzen unterdrücken. Die arme Frau stand noch unter Beruhigungsmitteln, aber bald würde sie entlassen werden. Ob sie jemanden hatte, der sie unterstützen und trösten würde? Wahrscheinlich nicht. Es war furchtbar.
    Auf Dr. López’ Schreibtisch lag auch eine Geburtsurkunde. Sie gehörte einem Jungen, der letzte Nacht, als SchwesterJulia nicht in der Klinik gewesen war, geboren worden war. Er sollte adoptiert werden. Interessiert warf sie einen Blick darauf. Der Name des Jungen lautete Federico Carlos Batista. Er trug den Familiennamen des Paares, das ihn adoptieren würde.

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