Julias Geheimnis
sich auf. Sie betrachtete Vivien mit größerem Interesse. »Das ist toll. Morgen Nachmittag vielleicht?«
»Oh.« Auch diesmal hatte Vivien nicht damit gerechnet, dass es so bald sein würde. Wusste Laura wirklich, was es bedeutete, Mutter zu sein? Begriff sie, dass sie für die Kleine verantwortlich war und für sie sorgen musste? »Ja, gut. Das ist in Ordnung«, hörte sie sich sagen. »Aber erst ab drei.« Um diese Zeit kam sie von der Arbeit. Vivien arbeitete immer noch in Teilzeit auf dem Postamt, obwohl sie früh Feierabend machte, damit sie sich ihrer Kunst widmen konnte. Einige ihrer Bilder hingen schon in Kunstgalerien in der Gegend.
»Prima.« Laura winkte ihr fröhlich zu. »Danke, Vivien.«
Als Vivien am nächsten Tag von der Arbeit kam, stand der Campingbus schon vor ihrem Haus. Sie hatte Tom gestern nichts von den Plänen für den heutigen Nachmittag erzählt, weil sie wusste, dass es ihm nicht gefallen würde. Sie kannte auch seine Gründe dafür.
»Heute Abend wird es nicht so spät«, sagte Laura, als sie Vivien den Korb gab. Die bunte Hippiekette baumelte an ihrem Hals.
Vivien schaute auf Ruby hinunter. »Ist schon in Ordnung.« Sie war vorhin bei der Drogerie vorbeigegangen und hatte Babymilch, eine Ersatzflasche, ein paar Windeln,eine Wickelunterlage und sogar einen kleinen rosa Schlafanzug gekauft. Davon würde sie Tom auch nichts erzählen. Schließlich sprang sie nur ein. Laura war Pearls Tochter. Da war doch nichts dabei.
Laura hatte weder einen Buggy noch einen Kinderwagen, daher konnte Vivien nicht mit ihr im Park spazieren gehen, wie sie es gern getan hätte. Stattdessen stellte sie einen Gartenstuhl nach draußen, legte Ruby darauf und befestigte Kissen rundherum, sodass sie sich auf keinen Fall umdrehen oder hinunterfallen konnte. Frische Luft war gut für Babys. Und während Ruby schlief, erledigte Vivien die Gartenarbeit und schaute ab und an zu ihr hinüber. Gelegentlich unterbrach sie das Jäten oder Graben, um Ruby zuzulächeln oder nachzusehen, ob es ihr gut ging. Sie überlegte, etwas zu malen, entschied sich aber dagegen. Sie wollte sich nicht so sehr von dem Baby ablenken lassen.
Als die kleine Ruby das nächste Mal zum Füttern aufwachte, hatte Vivien ihre Flasche vorbereitet und musste sie nur noch aufwärmen. Doch diesmal schrie sie nicht los wie zuvor, sondern gluckste und kicherte und wedelte mit den kleinen Fäustchen. Vivien begriff, dass es ihr im Garten gefiel. Sie konnte die Blätter sehen, die sich im Wind bewegten, und das Rascheln und Zwitschern der Vögel hören. Dass sie den Aufenthalt im Garten genoss, gab Vivien das Gefühl, dass sie ihre Sache gut machte.
»Was? Schon wieder?«, fragte Tom, als er von der Arbeit nach Hause kam und Vivien dabei überraschte, wie sie sich beim Bügeln mit Ruby unterhielt.
»Mir macht es nichts aus«, sagte Vivien. »Es hat nichts zu bedeuten.« Doch das stimmte nicht. Natürlich hatte es etwas zu bedeuten.
Tom warf ihr einen warnenden Blick zu. »Gewöhn dich nicht zu sehr daran, Schatz«, sagte er. »Gewinn sie nicht zu lieb.«
»Hör auf, dir Sorgen zu machen. Sieh mal.« Vivien brachte Tom dazu, mit dem kleinen Finger Rubys Handfläche zu kitzeln, bis sie danach fasste und zudrückte.
Er lachte und sagte, er könne nicht glauben, wie stark sie sei.
So würde es sein, dachte Vivien wieder. So würde es sein, wenn sie Eltern wären.
Tom sah sie an. »Trotzdem mache ich mir Sorgen, Liebling«, sagte er. »Ich weiß, dass du es gern möchtest. Aber du solltest nicht allzu oft anbieten, auf sie aufzupassen.«
»Mache ich nicht.« Ruby war so ein reizendes Baby, aber mit ihrem zahnlosen Lächeln und diesen hübschen blauen Augen auch schon eine kleine Persönlichkeit. Es war so schön, sie einfach in den Armen zu halten und einen Moment lang so zu tun, als ob …
Wenn es sein musste, könnte sie Ruby mit auf die Post nehmen. Sie würde Laura unterstützen, wann immer es nötig war. Wegen Pearl, weil Laura ihr leidtat und weil …
Tom hatte nichts dagegen, dass das Baby bei ihnen war, das wusste Vivien. Er hatte die Kleine gern um sich. Aber sie wusste, warum er sich Sorgen machte. Sie hatte sich mit ihrer Kinderlosigkeit abgefunden oder zumindest geglaubt, dass sie es getan hatte. Aber jetzt kam alles wieder hoch. Wie würde es Vivien gehen, wenn Laura fortging? Und das würde sie irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft tun. Er sorgte sich zu Recht. Sie blickte auf das schlafende Kind hinunter. Vivien konnte
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