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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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die Schuhschachtel und auf den »Behalten«-Stapel. Nur für den Fall, dass die Sachen wichtig waren. Dass ihre Eltern aus irgendeinem Grund gewollt hatten, dass sie sie fand.
    An diesem Abend ging Ruby in das Zimmer, das auch nach ihrem Auszug weiter ihres gewesen war. An der Kommode lehnte noch eine ihrer alten Gitarren. Sie hatte sie hiergelassen, zum einen, weil sie noch eine andere, neuere hatte, die sie mit nach London genommen hatte, zum anderen aber auch, damit sie spielen konnte, wenn sie ihre Eltern besuchte. Man weiß nie, wann einem ein Song in den Kopf spaziert und man ein paar Akkorde anschlagen muss.
    Jetzt nahm sie das Instrument in die Hand und setzte sich damit aufs Bett, wie sie es als Mädchen so oft getan hatte. Ganz automatisch neigte sie den Kopf leicht zur Seite, um besser hören zu können, und begann automatisch mit dem Stimmen. So klang es besser. Sie legte die Gitarre beiseite und nahm ihr Saxofon aus dem Kasten. Es war ziemlich umständlich gewesen, es im Zug mitzunehmen, aber sie hatte es nicht zurücklassen können. Es war der erste Gegenstand, den sie aus einem Feuer retten würde. Früher hatte sie es als etwas empfunden, dass sie ebenso dringend zum Leben brauchte wie ihre Arme. Ob es jemals wieder so werden würde? Seit sie mit James zusammen war, seit sie in London lebte und keine Band mehr hatte, mit der sie regelmäßig spielte, hatte sie nicht mehr viel geübt. Aber vielleicht konnte sie sich ja wieder mit den Jungs von der Band hier in Pridehaven zusammentun und wieder im Jazz-Café spielen. Warum nicht?
    Ruby berührte die glänzenden Klappen, und das Saxofon schimmerte zur Antwort träge auf. Als sie damals zu spielen begann, hatte sie es kaum festhalten können. Der einzige Laut, den sie erzeugte, war ein jämmerliches Quieken gewesen. »Haben wir Mäuse?«, pflegte ihr Vater mit hochgezogener Augenbraue zu fragen. Heute jedoch   … Hätte sie ohne das Instrument nicht leben können.
    Plötzlich kam ihr eine Zeile in den Kopf, und sie kritzelte sie in das Notizbuch auf dem Nachttisch. Ihre Mutter war ein glücklicher Mensch gewesen, oder? Aber sie hatte auch Jazz und Blues geliebt. Ob beim Kochen, Putzen oder Malen, immer hatte sie ihre alten Alben und CDs gehört. Und ihre Lieblingssongs waren immer die traurigen gewesen. »The Nearness of You.« Ruby seufzte. Ihre Mutter fehlte ihr. Sie fehlten ihr beide. Sie sehnte sich so sehr nach ihnen, dass esschmerzte. Sie sehnte sich nach einer Umarmung. Danach, das Lachen ihres Vaters zu hören. Die Stimme ihrer Mutter.
    Zärtlich legte sie das Saxofon in seinen Kasten zurück. »Ich wünschte, du würdest mich so berühren«, hatte James einmal gesagt. Ja, aber das Saxofon hatte auch nie zu viel von ihr verlangt. Und es gab etwas zurück.Es gab jeden Atem, jedes Gefühl und jede Stimmung wieder, die Ruby hineinblies.
    »Bist du etwa eifersüchtig?«, hatte sie ihn geneckt. Das war ganz zu Beginn ihrer Beziehung gewesen. Bevor sie aufhörten, einander zu necken und bevor sie das Spielen aufgab.
    »Natürlich«, hatte er gelacht. »Es kommt dir so nahe. Wenn du auf dem Ding spielst, entschwebst du in eine ganz andere Welt, ohne mich.«
    Es stimmte. Das Saxofon berührte einen Punkt tief in ihrem Inneren. Es ließ sie von einem dunklen Nachtclub in den frühen Morgenstunden träumen. War es das, wo sie hinwollte? Ja, etwas in ihrem Inneren wollte dorthin. Obwohl es wehtat, in eine andere Welt zu entschweben. Sie schloss die Augen, während ein neuer Song in ihrem Kopf Gestalt annahm. Vor ihrem inneren Auge entstand ein Muster aus Steigen und Fallen, sie hörte den Takt, spürte seinen Rhythmus. Er erwachte zum Leben. Die Textzeile, die sie geschrieben hatte, passte genau. Ja, dachte sie, in eine andere Welt entschweben   … Manchmal gab es nichts, was sie sich mehr wünschte.
    Ungefähr eine Stunde später ging Ruby nach unten, um sich eine heiße Schokolade zu machen. Weil sie noch nicht müde genug war, um schlafen zu gehen, begann sie, die Papiere durchzusehen, die Mel im Sekretär ihrer Eltern gefunden hatte. Es handelte sich um Briefe von Banken und vom Elektrizitätswerk. Die Schreiben, in denen es um Hypotheken, Zinsen und Gemeindesteuern ging, waren uralt; die konnte sie vermutlich alle getrost wegwerfen. Sie schlug einen ramponierten Pappordner auf. Ärztliche Bescheinigungen. Ihr eigener Impfpass   – schon lange nicht mehr aktuell. Sie entdeckte einen Brief, der von ihrem alten Hausarzt stammte, und überflog ihn. Es

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