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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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mit dem Unterschiede, daß sie bei ihnen voll Grazie ist, und daß sie unter allen Völkern der Welt uns am wenigsten kleidet. In mehren deiner Briefe finde ich Gesuchtes und Gespieltes. Ich meine nicht die lebhaften Wendungen und gesteigerten Ausdrücke, welche die Lebhaftigkeit des Gefühls eingiebt, sondern eine gewisse Geziertheit des Styls, die, weil sie unnatürlich ist, sich nicht von selbst dem Schreibenden anbietet und verräth, daß er sich zeigen will. O Gott, dem Geliebten gegenüber sich zeigen wollen! Läßt man nicht vielmehr den geliebten Gegenstand allein Alles sein? ist man nicht sogar stolz auf jedes Verdienst, worin man sich von ihm übertroffen findet? Nein, wahrlich, wenn man gleichgültige Conversationen mit einigen bunten Einfällen belebt, welche wie Blitze vorüberfahren, so ist doch unter Liebenden eine solche Sprache nicht am Orte und der blumenreiche Jargon der Galanterie ist viel weiter entfernt vom Gefühle als der einfachste Ton, den man annehmen kann. Ich berufe mich deshalb auf dich selbst. Hat der Esprit je Zeit gehabt hervorzutauchen, wenn wir unter vier Augen waren? und wenn der Zauber eines Liebesgespräches ihn fernhält und nicht aufkommen läßt, wie können dann Briefe, die die Abwesenheit immer ein wenig mit Bitterkeit würzt und in denen das Herz wehmüthiger spricht, ihn ertragen? Wiewohl jede starke Leidenschaft ernsthaft ist, und selbst die übermäßige Freude uns eher weinen als lachen macht, verlange ich deshalb doch nicht, daß die Liebe immer trübsinnig sei, aber ich verlange, daß ihre Heiterkeit natürlich, schmucklos, kunstlos, nackt wie sie selbst sei, mit einem Worte, daß sie mit der ihr eigenen Anmuth glänze, aber nicht, daß sie sich geistreich aufputze.
    Die Unzertrennliche, in deren Stube ich dir diesen Brief schreibe, meint, als ich ihn anfing, wäre ich in solcher frohen Stimmung gewesen, wie die Liebe sie weckt oder doch verträgt; aber ich weiß nicht, was im Schreiben allmählig daraus geworden ist. Je weiter ich kam, desto mehr bemächtigte sich ein gewisses Wehgefühl meiner Seele und ließ mir kaum die Kraft, die Scheltreden hinzuschreiben, auf welche die schlechte Person durchaus bestand; denn du mußt nur wissen, daß die Kritik deiner Kritik mehr ihr als mein Werk ist; sie hat mir besonders den ersten Artikel dictirt, wobei sie wie nicht klug lachte und nicht leiden wollte, daß ich ein Wort änderte. Sie sagte, es sei nur, um dich den Marini immer so despectirlich behandeln zu lehren, dessen Gönnerin sie ist und über den du dich lustig machst.
    Weißt du aber, was uns beide so guter Laune macht? Ihre bevorstehende Hochzeit. Der Contract ist gestern Abend ausgefertigt worden, und der Tag auf Montag über acht Tage anberaumt. Hat es je eine lustige Liebschaft gegeben, so ist es die ihrige; man kann sich kein Mädchen denken, das komischer verliebt wäre als sie. Der gute Herr von Orbe, dem seinerseits von allem Glück der Kopf schwindelt, ist entzückt über ihre tolle Laune. Nicht so schwierig wie du sonst warst, giebt er sich gern zu ihren Späßen her und hält es für ein Meisterstück in der Liebe, die Geliebte lustig zu machen. Bei ihr denn wieder hat man gut predigen, ihr den Anstand vorhalten, sie erinnern, daß sie kurz vor dem entscheidenden Augenblick eine ernsthaftere Haltung annehmen, gesetzter sein, und dem Stand, den sie zu verlassen im Begriff ist, ein Bischen mehr Ehre machen sollte: sie erklärt das Alles für dumme Ziererei, sagt Herrn von Orbe in's Gesicht, am Hochzeittage werde sie die beste Laune von der Welt haben, und man könne gar nicht lustig genug in die Ehe hineinhüpfen. Aber die kleine Heuchlerin sagt nur nicht Alles: heute Morgen fand ich sie mit rothgeweinten Augen, und ich wette darauf, daß sie Nachts mit ihren Thränen das Gelächter des Tages bezahlt. Sie soll nun neue Ketten auf sich nehmen, welche die süßen Bande der Freundschaft lockern werden; soll eine Lebensart anfangen, welche von der, die ihr lieb war, so verschieden ist: sie lebte ruhig und zufrieden, und soll sich nun der Ungewißheit preisgeben, welche von der besten Ehe nicht zu trennen ist; und, sage sie was sie wolle, wie ein reines, stilles Wasser sich zu trüben anfängt bei der Annäherung des Sturmes, so sieht ihr schüchternes, züchtiges Herz nicht ohne einige Unruhe dem nahen Wechsel ihres Looses entgegen.
    O mein Freund, wie glücklich sind sie! Sie lieben einander, sie werden sich einander heiraten; sie werden ihre Liebe ohne

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