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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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kennt. In ihrer eigenen Meinung von sich sind sie so unparteiisch, daß Der, welcher sie ehren wollte, sich dadurch nur unwerth machen würde, ihnen zu gefallen, und die vornehmste Eigenschaft des
homme à bonnes fortunes
[Bonnes fortunes, das Glück, das man bei Weibern macht, homme à bonnes fortunes, Weibergünstling. D. Ueb.]
ist, im höchsten Grade impertinent zu sein.
    Wie dem nun sei, und was sie sich auch auf Bosheit zu Gute thun, sie sind trotzdem gut, und wozu ihre Herzensgüte gut ist, wirst du sogleich sehen. Ueberall in der Welt sind sehr beladene Geschäftsleute abstoßend und fühllos, und da Paris der Mittelpunkt aller Geschäfte des größten Volkes in Europa ist, so sind Die, welche sie besorgen, die allerhärtesten Menschen. Daher wendet man sich mit Bittgesuche an die Frauen, sie sind die Zuflucht der Unglücklichen, sie verschließen den Klagen derselben nie ihr Ohr, sie hören sie an, trösten sie und dienen ihnen. Inmitten des leichtsinnigen Lebens, das sie führen, wissen sie ihren Vergnügungen Augenblicke abzustehlen, die sie ihrem guten Gemüthe schenken, und wenn einige wenige mit den Diensten, die sie erzeigen, ein niederträchtiges Gewerbe treiben, so sind doch tausend andere täglich damit beschäftigt, dem Armen mit ihrem Beutel und dem Unterdrückten mit ihrem Einflusse unentgeldlich beizustehen. Es ist wahr, daß sie ihre Theilnahme oft nicht recht anbringen und unbedenklich dem Unglücklichen, den sie nicht kennen, schaden, um dem zu dienen, den sie kennen; aber wie soll man auch in einem so großen Lande alle Welt kennen? und was vermag überdies Seelengüte ohne wahre Tugend? denn deren höchstes Trachten ist darauf gerichtet, nicht sowohl Gutes zu thun, als nie Unrecht zu thun. Davon abgesehen ist es gewiß, daß sie Hang zum Guten haben, daß sie viel Gutes thun, daß sie es aus gutem Herzen thun, daß sie allein in Paris das Bißchen Menschlichkeit erhalten, das noch da herrscht, und ohne sie wahrlich würde man dort das habgierige und unersättliche Gesindel sich wie die Wölfe zerreißen sehen.
    Dahinter würde ich nicht gekommen sein, wenn ich mich nur an die Schilderungen des Roman- und Lustspieldichters gehalten hätte, der an den Frauen immer eher die Lächerlichkeiten entdeckt, die ihm mit ihnen gemein sind, als die guten Eigenschaften, die ihm selbst abgehen, oder der, anstatt sie zum Guten anzuspornen durch Belobung solcher Tugenden, die sie wirklich üben, ihnen Meisterstücke der Tugend vor Augen stellt, deren Nachahmung sie sich gar nicht zumuthen, weil sie sie für leere Hirngespinnste halten. Der Roman ist vielleicht das letzte Unterrichtsmittel, welches noch übrig bleibt für ein Volk, das so verderbt ist, daß kein anderes Mittel mehr bei ihm anschlägt; ich wollte, die Abfassung derartiger Bücher wäre in diesem Falle nur gesitteten und dabei gefühlvollen Leuten verstattet, deren Herz sich in ihren Schriften abspiegelte, Schriststellern, die nicht erhaben wären über menschliche Schwachheit, die nicht die Tugend auf einmal hoch imHimmel außer dem Bereiche menschlicher Kräfte darstellten, sondern ihr Liebe gewönnen, indem sie sie Anfangs minder streng erscheinen ließen und aus dem Schooße des Lasters heraus unvermerkt zu ihr hinzuleiten verstünden.
    Ich habe es dir vorausgesagt, ich bin in keiner Hinsicht der gewöhnlichen Ansicht über die Frauen hier zu Lande. Es ist nur Eine Stimme darüber, daß der erste Eindruck, den sie machen, bezaubernd sei; man findet an ihnen die verführerischste Grazie, die raffinirteste Koketterie, die Quintessenz der Galanterie und die Kunst zu gefallen im allerhöchsten Grade. Ich aber, ich finde den ersten Eindruck anstößig, ihre Koketterie widrig und ihre Manieren unzüchtig. Ich denke mir, daß das Herz sich allen ihren Avancen nur verschließen kann und man wird mich nicht überreden, daß sie im Stande seien, einen einzigen Augenblick von Liebe zu sprechen, ohne daß sie sich dabei eben so unfähig zeigen, sie zu erwecken, als sie zu fühlen.
    Auf der anderen Seite räth der Leumund, ihrem Charakter zu mißtrauen, schildert sie leichtfertig, verschlagen, ränkevoll, unbesonnen, flatterhaft, gut schwatzend, aber nicht denkend, noch weniger fühlend, und so ihren ganzen Werth in leerem Geplapper ausgebend. Alles das scheint mir nur ihr äußerliches Wesen wie ihre Reifröcke und ihr Roth. Es sind Paradelaster, die man in Paris haben muß, und die bei ihnen, im Grunde Sinn, Verstand, Menschenfreundlichkeit,

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