Julie oder Die neue Heloise
unglücklich, wie ich es ewig sein mußte mit einer Liebe ohne Unschuld und mit Wünschen ohne Hoffnung, die ich nicht unterdrücken konnte. Tausend innere Vorwürfe peinigten mich; ich sah, wie eitel sie waren, und verbannte Betrachtungen, die nur schmerzten und nichts halfen; ich war es nicht mehr werth, daß ich an mich dachte, ich widmete mich ganz der Sorge um Sie. Ich hatte keine Ehre mehr als die Ihrige, keine Hoffnung weiter als Ihr Glück, und die Empfindungen, die mir von Ihnen kamen, waren die einzigen, denen ich noch zugänglich zu sein meinte.
Die Liebe machte mich nicht blind gegen Ihre Fehler, aber sie machte sie mir lieb, und berückte mich darin so sehr, daß ich Sie weniger geliebt haben würde, wenn Sie vollkommner gewesen wären. Ich kannte Ihr Herz, Ihr aufbrausendes Wesen; ich wußte, daß Sie bei mehr Muth als ich, weniger Geduld hätten, und daß die Leiden, welche meine Seele drückten, die Ihrige in Verzweiflung gesetzt haben würden. Aus diesem Grunde verbarg ich Ihnen stets mit Sorgfalt, was mein Vater in Betreff meiner versprochen hatte, und bei unserer Trennung, weil ich von Milord Eduard's Eifer, Ihnen einen Weg zu bahnen, Vortheil ziehen und Ihnen selbst den gleichen einflößen wollte, schmeichelte ich Ihnen mit einer Hoffnung, die ich in der Thal nicht hegte. Noch mehr: da ich die Gefahr wußte, von der wir bedroht waren, wandte ich das einzige Vorsichtsmittel an, das uns dagegen verwahren konnte, und suchte, indem ich Ihnen, soweit es in meiner Macht stand, meine Freiheit verpfändete, Ihnen Vertrauen und mir Festigkeit durch ein Gelöbniß zu verschaffen, welches ich nicht würde zu brechen wagen, und welches Sie beruhigen konnte. Es war eine kindische Verpflichtung, ich gestehe es, und doch würde ich ihr niemalsuntreu geworden sein. Die Tugend ist unseren Herzen ein solches Bedürfniß, daß, wenn man einmal von der wahren gewichen ist, man sich dann eine eigene macht und vielleicht fester an ihr hält, weil sie selbstgewählt ist.
Ich will Ihnen nicht alle die Gemüthsbewegungen schildern, die ich seit Ihrer Entfernung erlitt; die schlimmste von allen war die Furcht, vergessen zu werden. Der Aufenthalt, den Sie genommen hatten, machte mich zittern, Ihre Lebensart dort vermehrte meine Angst, ich glaubte Sie schon so tief gesunken, daß Sie nichts weiter als ein Weibernarr wären. Ein solcher Schimpf dünkte mir härter als alle meine Leiden; ich hätte Sie lieber unglücklich wissen mögen als verächtlich. An so viele Kümmernisse hatte ich mich gewöhnen müssen: das einzige, was ich nicht ertragen hätte, war, Sie ehrlos zu wissen.
Ich wurde wegen einer Furcht, in der mich der Ton Ihrer Briefe zu bestärken anfing, beruhigt und zwar durch Etwas, das der Unruhe einer Andern die Krone aufgesetzt hätte. Ich meine die Ausschweifung, zu welcher Sie sich verleiten ließen, und deren schnelles und offenes Bekenntniß von allen Beweisen Ihrer Freimüthigkeit derjenige war, der mich am meisten gerührt hat. Ich kannte Sie zu gut, um nicht zu wissen, welche Ueberwindung Ihnen ein solches Bekenntniß kosten mußte, selbst dann, wenn ich Ihnen nicht mehr theuer gewesen wäre; ich sah, daß die Liebe allein, die Scham besiegend, es Ihnen hatte entreißen können. Ich schloß, daß ein so aufrichtiges Herz einer geheimen Untreue nicht fähig wäre; ich fand Ihr Unrecht nicht so groß als Ihr Bekenntniß verdienstlich, und indem ich Ihrer alten Versprechen gedachte, war ich auf immer von aller Eifersucht geheilt.
Mein Freund, ich war deshalb nicht glücklicher: für eine Qual weniger entstanden unablässig tausend andere, und nie überzeugte ich mich mehr, wie unsinnig es ist, in Herzensverirrungen eine Ruhe zu suchen, welche uns ein sittliches Leben allein gewähren kann. Seit langer Zeit weinte ich im Stillen über den Zustand meiner guten Mutter, die an einem tödtlichen Zehrübel allmählig verging. Babi, der ich mich wegen der traurigen Folge jenes Falles hatte anvertrauen müssen, verrieth mich, und entdeckte ihr unsere Liebe und meinen Fehltritt. Kaum hatte ich mir meine Briefe von meiner Cousine zurückgeben lassen, so wurden sie aufgefunden. Der Beweis war überzeugend; der Schmerz hierüber nahm meiner Mutter den letzten Rest von Kraft, den ihr das Uebel noch gelassen hatte. Ich starb fast vor Reuezu ihren Füßen. Weit entfernt, mich dem Tode Preis zu geben, den ich verdient hatte, deckte sie meine Schande zu, und seufzte nur im Stillen. Sie selbst, von dem sie sich so
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