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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Tugenden aller; Tod dem elenden Sterblichen, der es je wird versuchen wollen, eine derselben zu beflecken! Sein Sie glücklich; ich will mich bestreben zu vergessen, wie sehr ich zu beklagen bin, und aus Ihrem Glücke selbst will ich den Trost für meine Leiden schöpfen. Ja, theure Geliebte, es scheint mir, daß meine Liebe ebenso vollkommen ist wie ihr anbetungswürdiger Gegenstand; alle Begierden, die von Ihren Reizen entzündet werden, löschen aus in den Vollkommenheiten Ihrer Seele; ich sehe diese so still, so friedlich, daß ich es nicht wage, ihre Ruhe zu trüben. So oft ich versucht bin, Ihnen die kleinste Liebkosung zu stehlen, wenn dann die Gefahr, Sie zu erzürnen, mich zurückhält, hält mich noch mehr mein Herz zurück durch die Furcht, ein so reines Glück zu stören; die Güter, nach denen ich strebe, schätze ich nur nach dem, was es Sie kosten würde, sie hinzugeben; und da ich nicht mein Glück und das Ihrige in Uebereinstimmung bringen kann, sehen Sie, wie ich liebe, so habe ich auf das meinige verzichtet.
    Welche unauflöslichen Widersprüche in den Gefühlen, die Sie mireinflößen! Ich bin zu gleicher Zeit unterwürfig und keck, ungestüm und zurückhaltend; ich kann nicht die Augen zu Ihnen aufschlagen, ohne daß ich Kämpfe mit mir selbst zu bestehen habe. Ihre Blicke, Ihre Stimme gehen ans Herz, mit der Liebe, dem rührenden Reiz der Unschuld ; ein himmlischer Reiz ist das, den man um Alles nicht zerstören möchte. Wenn ich meine Wünsche bis zum Aeußersten schweifen lasse, so ist das nur in Ihrer Abwesenheit; meine Begierden wagen sich nicht bis zu Ihnen, wenden sich nur an Ihr Bild, und an dem räche ich mich für die Scheu, die ich gegen Sie zu beobachten gezwungen bin.
    Indessen schmachte ich hin und vergehe; Feuer strömt durch meine Adern; nichts kann es löschen oder dämpfen, und ich entfache es heftiger, indem ich es zu bändigen versuche. Ich soll glücklich sein, ich bin es, das gestehe ich ein; ich beklage mich nicht über mein Loos; so wie es ist, würde ich nicht mit den Königen der Erde tauschen. Jedoch ist es ein wirkliches Uebel, das mich quält, ich suche vergeblich ihm zu entkommen; ich möchte nicht sterben und doch sterbe ich; ich möchte leben für Sie, und Sie nehmen mir das Leben.
     
Elfter Brief.
Von Julie.
    Mein Freund, ich fühle, daß ich mich mit jedem Tage inniger an Sie schließe, ich kann mich nicht mehr von Ihnen trennen; die kleinste Abwesenheit ist mir unerträglich und ich muß Sie sehen oder Ihnen schreiben, damit ich unaufhörlich mit Ihnen beschäftigt bin.
    So wächst meine Liebe mit der Ihrigen; denn ich erkenne jetzt, wie sehr Sie mich lieben, an der wirklichen Furcht, die Sie haben, mir zu misfallen, während Sie sie erst nur zum Scheine hatten, um besser zu Ihrem Ziele zu gelangen. Ich kann in Ihnen ganz gut die Herrschaft, welche sich das Herz über Sie erworben hat, von dem Rausche einer erhitzten Einbildungskraft unterscheiden und ich finde hundert Mal mehr Leidenschaft in dem Zwange, den Sie sich anthun, als in Ihrer ersten stürmischen Heftigkeit. Ich weiß auch wohl, daß Ihr Zustand, wie lästig er sein möge, nicht ohne Genuß ist. Es ist Dem, der wahrhaft liebt, etwas Süßes, Opfer zu bringen, die ihm alle angerechnet werden und deren keines im Herzen der Geliebten verirren ist. Wer weiß, ob Sie nicht sogar, weil Sie mein gefühlvolles Wesen kennen, eine besser berechnete Geschicklichkeit anwenden, mich zu verführen? Doch nein! ich bin ungerecht, und Sie sind nicht fähig, Künste gegen mich zu gebrauchen. Indessen wenn ich klug sein will, so werde ich mich vor dem Mitleid noch weit mehr hüten als vor der Liebe. Ich fühle mich tausend Mal tiefer bewegt von Ihrer zurückhaltenden Scheu als von Ihrem stürmischen Dringen, und ich fürchte sehr, daß Sie mit dem ehrbareren Wege zugleich doch den gefährlicheren erwählt haben.
    Ich muß mein Herz ausschütten, ich muß Ihnen eine Wahrheit sagen, die es lebhaft fühlt und von der Sie auch das Ihrige überzeugen muß: nämlich dem Stande, den Eltern und uns selbst zum Trotz ist unsere Bestimmung auf ewig vereint, und wir können nie anders als mit einander glücklich oder unglücklich sein. Unsere Seelen haben sich, so zu sagen, an allen Punkten berührt und wir haben überall dieselbe Cohärenz empfunden (verbessern Sie, Freund, wenn ich Ihre physikalischen Lehren falsch anwende). Das Schicksal wird uns wohl trennen, aber nicht uns von einander lösen können. Wir werden nur noch die

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