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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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werden muß, ich will nur das allein meine Sorge sein lassen, was Sie mir zur Pflicht gemacht haben.
    In dem ganzen Jahre, seit wir mit einander studiren, haben wir immer ohne Ordnung und fast nur, wie es der Zufall gab, gelesen, mehr um Ihren Geschmack zu Rathe zu ziehen, als um ihn zu bilden. Uebrigens hat Ihnen alle diese Unruhe im Gemüthe wenig Freiheit des Geistes gelassen. Die Augen waren nicht fest auf das Buch gerichtet; der Mund sprach die Worte aus, aber die Aufmerksamkeit war immer nicht dabei, Ihre kleine Cousine, die nichts hatte, wovon sie eingenommen gewesen wäre, warf uns oft unsere Zerstreuung vor und machte sich eine Ehre aus dem leichten Geschäft, uns auszustechen. Unvermerkt ist sie die Lehrerin des Lehrers geworden, und obgleich mir manchmal über ihre Prätensionen gelacht haben, ist sie doch im Grunde die Einzige von uns dreien, die etwas von dem weiß, was wir mit einander getrieben haben.
    Um also die verlorene Zeit wieder einzubringen (ach, Julie, hat es je eine besser angewendete Zeit gegeben?) habe ich mir eine Art Plan ausgedacht, bei welchem wir durch das Methodische des Verfahrens wieder gut machen können, was wir durch unsere Zerstreuungen am Lernen eingebüßt haben. Ich lege ihn Ihnen bei; wir wollen ihn nachher mit einander durchlesen, und ich beschränke mich hier auf einige oberflächliche Bemerkungen, die ich dazu machen will.
    Wenn es unsere Absicht wäre, liebreizende Freundin, uns mit Gelehrsamkeit zum Prunk zu beladen und mehr für die Anderen zu lernen als für uns selbst, so würde mein Entwurf nichts taugen; denn er ist ganz nur darauf angelegt, etwas Weniges aus Vielem zu gewinnen und aus einer großen Bibliothek eine kleine Lese zu halten. Die Wissenschaft ist den meisten von Denen, welche sie pflegen, eine Münze, auf deren Besitz man großen Werth legt, die jedoch zum Wohlsein nichts beiträgt, als insofern man sie wieder ausgiebt, und nur im Umsatz etwas nutz ist. Nehmen Sie unseren Gelehrten das Vergnügen, sich hören zu lassen, und das Wissen ist ihnen nichts mehr. Sie sammeln in ihrem Kämmerchen Schätze auf, nur um sie öffentlich auszustreuen; sie wollen nur in den Augen Anderer für einsichtig gelten, und sie würden sich aus der Erkenntniß nichts machen, wenn sie keine Bewunderer mehr hätten.
[So dachte auch selbst Seneca: „Wenn man mir die Wissenschaft," sagt er, „unter der Bedingung geben wollte, daß ich sie nicht zeigen dürfte, so möchte ich sie nichts.“ Erhabene Philosophie; dazu also wirst du gebraucht! R.
    Die Stelle lautet:
Si cum hac exceptione detur sapienta ut illam inclusam teneam nec enutiem,
rejiciam
. Rousseau giebt der Aeußerung Seneca's eine falsche Wendung. Dieser hat bei den angeführten Worten nicht ein Prunken mit der Wissenschaft im Sinne, sondern das Bedürfniß der Mittheilung; das Geheimwissen ist das, was er verwirft. Er schreibt: „Mich verlangt, mein Lucilius, Alles wieder in dich auszuschütten; es ist mir schon darum lieb zu lernen, um das Gelernte wieder zu lehren; wie könnte mich etwas freuen, sei es noch so gut und ersprießlich, wenn ich es für mich allein wissen sollte? Würde mir alles Wissen gegeben, unter der Bedingung, es verschlossen zu halten, so möchte ich es nicht." (Sen. Brief. No. 6.) D. Ueb.]
Wir aber, die wir Gewinn von unseren Kenntnissen ziehen wollen, häufen sie nicht an, um sie wieder loszuschlagen, sondern um sie zu unserem Gebrauche zu verwenden, nicht um uns damit zu beladen, sondern um Nahrung daraus zu ziehen. Wenig lesen und viel über das Gelesene denken, oder, was das Nämliche ist, unter einander sprechen, dies ist das Mittel, es wohl zu verdauen. Ich bin der Meinung, wenn man erst einmal durch Uebung im Nachdenken das Verständniß sich geöffnet hat, so ist es immer besser, die Dinge, die man in den Büchern finden könnte, selbst zu entdecken; es ist das wahre Geheimniß, sie sich nach seinem Sinne zu formen und sie sich zu eigen zu machen; während, wenn man sie so aufnimmt, wie sie uns dargeboten werden, dies fast immer in einer Form geschieht, welche unserer Eigenthümlichkeit nicht gemäß ist. Wir sind reicher, als wir glauben, aber, sagt Montaigne, wir werden auf die Suche abgerichtet; wir lernen immer weit mehr mit fremdem Gute umgehen als mit unserem eigenen; oder vielmehr, indem wir unaufhörlich zusammenscharren, wagen wir nichts anzurühren: wir machen es wie die Geizigen, die nur darauf denken, ihre Truhen zu füllen, und im Schoße des Ueberflusses Hungers

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