Julie oder Die neue Heloise
bildete mir fest ein, daß ihre Nachlässigkeit ein Kunstmittel sei; sie hätte sich mit einem Sack putzen können und ich würde sie der Koketterie geziehen haben. Jetzt würde nun ihre Macht nicht geringer sein, aber sie verschmäht es, Gebrauch davon zu machen, und ich würde nun wieder sagen, sie wähle mit Absicht einen gesuchteren Putz, um sich blos als die hübsche Frau und nichts weiter darzustellen, wenn ich nicht die wahre Ursache entdeckt hätte, warum sie auf ihre Kleidung mehr Sorgfalt verwendet. Die ersten Tage täuschte ich mich: indem ich nicht bedachte, daß sie bei meiner Ankunft, wo man mich doch nicht erwartet hatte, nicht anders angezogen war, erdreistete ich mich, die Ehre ihrer Sorgfalt auf meine Rechnung zu schreiben. Während der Abwesenheit des Herrn von Wolmar wurde ich enttäuscht. Gleich am andern Tage war nicht mehr die vorige Eleganz zu sehen, die das Auge nicht satt wurde zu betrachten, aber auch nicht jene rührende, wollüstige Kunstlosigkeit, die mich ehedem berauschte, sondern eine gewisse Bescheidenheit, die durch das Auge zum Herzen spricht, die nur Achtung einflößt, und deren Wirkung durch die Schönheit erhöht wird. Die Würde, welche der Gattin und Mutter geziemt, herrschte über alle ihre Reize; der ihr eigene schüchterne und zärtliche Blick war gemessener geworden, und man hätte sagen sollen, daß ein großartigeres, edleres Wesen die Sanftheit ihrer Züge bedeckt hielt. Nicht daß sich die geringste Veränderung in ihrer Haltung und in ihrem Benehmen gezeigt hätte; ihr stets sich gleiches, unschuldiges Wesen hat nie das Mindeste von Zierereien gewußt; sie machtenur von dem den Frauen natürlichen Talente Gebrauch, uns durch eine Abwechselung im Anzuge. durch eine andere Form des Kopfputzes, durch eine neue Farbe des Kleides anders zu stimmen, und über unsre Herzen die Herrschaft des Geschmackes auszuüben, die aus Nichts Etwas macht. An dem Tage, da sie ihren Mann zurückerwartete, stellte die Kunst sich wieder ein, um ihre natürliche Grazie zu beleben, ohne sie zu verdecken; sie war blendend, als sie von ihrer Toilette kam; ich fand, daß sie es nicht weniger verstand, den glänzendsten Putz zu beschämen, als den einfachsten zu zieren, und mit Verdruß sagte ich zu mir selbst, als ich erkannte, wem ihre Bemühung galt: hat sie je für die Liebe so viel gethan?
Die Freude am Schmuck hat sich von der Herrin des Hauses über Alle verbreitet, die demselben angehören. Der Herr, die Kinder, die Bedienten, die Pferde, die Gebäude, die Meubles, Alles ist mit einer Sorgfalt gehalten, welche zeigt, daß man nicht unvermögend ist, Pracht zu entwickeln, daß man es aber verschmäht; oder vielmehr es ist in der That Pracht da, wenn es anders wahr ist, daß diese weniger in dem Reichthum gewisser Gegenstände besteht, als in einer schönen Ordnung des Ganzen, welche die einzelnen Theile in Uebereinstimmung setzt und Einheit in den Gedanken des Ordners verräth
[Dies scheint mir unbestreitbar. Es ist Pracht in der Symmetrie eines gr0ßen Palastes, keine in einer Masse durcheinander gewürfelter Häuser. Es ist Pracht in der Uniform eines in Parade aufmarschirten Regiments, keine in der Volksmasse, welche zuschaut, obgleich sich unter dieser vielleicht kein Einziger befindet, dessen Kleidung nicht mehr werth wäre, als die jedes Soldaten. Mit Einem Worte, die wahre Pracht liegt nur in der im Großen und Ganzen sichtbar gemachten Ordnung, und daher kommt es, daß von allen erdenklichen Schauspielen das der Natur das prachtvollste ist.]
. Ich für mein Theil wenigstens finde, daß es ein größerer und edlerer Gedanke ist, in einem einfachen und bescheidenen Hause eine kleine Anzahl von Menschen zu sehen, die sich durch gemeinsames Glück beseligt fühlt, als in einem Palaste Zwietracht und Unordnung herrschen und jeden von Denen, die ihn bewohnen, sein Wohl und sein Glück in dem Schaden eines Andern und in der allgemeinen Verwirrung suchen zu sehen. Das wohlgeordnete Haus ist erst eines, und bildet ein erfreuliches Ganze; in dem Palaste findet man nur ein verworrenes Gemenge von verschiedenartigen Gegenständen, deren Verbindung unter einander nur scheinbar ist. Auf den ersten Blick glaubt man Alles zu Einem Ziele wirken zu sehen; wenn man besser zusieht, findet man sich bald enttäuscht.
Nur nach dem natürlichsten Eindruck zu urtheilen. sollte es scheinen, daß man, um Glanz und Luxus zu verachten, weniger einen mäßigen Sinn, als Geschmack nöthig habe. Symmetrie und
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