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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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allen den unvermeidlichen Gefahren, vor denen sie es einen Augenblick behüten will, auf Lebenszeit Preis giebt und, um ihm ein Bißchen Schnupfen in der Kindheit zu ersparen, ihm für das reife Alter Flüsse, Luftbeschwerden, Sonnenstich und Tod bereitet.
    Die meisten der Fehler, deren Sie erwähnten, nehmen Kinder, die sich selbst überlassen sind, nur dadurch an, daß man sich nicht begnügt, ihnen ihren Willen zu lassen, sondern daß man ihnen erlaubt, ihn Andern aufzunöthigen; was die äffische Liebe der Mütter herbeiführt, indem Jedermann fühlt, daß er sich ihnen nicht gefällig machen kann, wenn er nicht ihren Kindern Alles zu Gefallen thut. Mein Freund, ich schmeichle mir, daß Sie bei den meinigen nichts bemerkt haben, was etwas von herrischem, befehlshaberischem Wesen auch gegen dengeringsten Bedienten an sich hätte, und daß Sie auch mich nicht den falschen Gefälligkeiten, die man für Kinder zu haben pflegt, verstohlenerweise Beifall geben sahen. In dieser Beziehung verfolge ich, wie ich glaube, einen neuen und sicherem Weg, um mein Kind frei, artig, liebreich und folgsam zugleich zu machen, und zwar bediene ich mich dabei eines sehr einfachen Mittels, nämlich, ich lasse es stets fühlen, daß es ein bloßes Kind ist.
    Wenn man die Kindheit an sich selbst nimmt, so läßt sich auf der Welt nichts Schwächeres, Hülfloseres, von Allem, was es umgiebt, Abhängigeres denken Was ist des Mitleids, der Liebe, des Schutzes bedürftiger, als ein Kind? Scheint es nicht, als seien die ersten Laute, die ihm die Natur giebt, nur deshalb Wehklagen und Weinen, als habe sie ihm nur deshalb eine so zarte Gestalt und eine so rührende Miene gegeben, damit Alles, was ihm naht, von Theilnahme für seine Schwäche ergriffen werde, und sich beeifere, ihm Hülfe zu leisten? Was kann es also Unnatürlicheres geben, als ein Kind, das seiner ganzen Umgebung trotzt, in gebieterischem Tone mit Denen spricht, die nichts weiter zu thun brauchten, als sich nicht um es bekümmern, um es zu Grunde gehen zu lassen; was kann es Verkehrteres geben als blinde Eltern, die solche Frechheit gut heißen, und das Kind daran gewöhnen, einstweilen seine Amme zu tyrannisiren, bis es dereinst sie selbst tyrannisiren wird?
    Ich für meinen Theil habe keine Mühe gespart, um den gefährlichen Eindruck, den der Unterschied von Herrschaft und Knechtschaft macht, von meinem Kinde fern zu halten, und ihm nie Veranlassung zu dem Gedanken zu geben, daß es mehr aus Schuldigkeit als aus Mitgefühl bedient werde. Dieser Punkt ist vielleicht der schwierigste und wichtigste der ganzen Erziehung, und ich würde kein Ende finden, wenn ich Alles aufzählen wollte, was ich habe thun müssen, um in ihm dem Instincte zu begegnen, der das Kind so bald die bezahlten Dienste der Hausleute von der zärtlichen Fürsorge der Mutter unterscheiden lehrt.
    Eines meiner Hauptmittel war, wie ich Ihnen gesagt habe, daß ich ihn von der Unmöglichkeit überzeugte, sich in seinem Alter ohne unsern Beistand zu erhalten. Hiernach ist es mir nicht schwer geworden, ihm begreiflich zu machen, daß man in Allem, worin man fremder Hülfe bedarf, von anderen Personen abhängig ist, daß die Bedienten eine wahre Ueberlegenheit über ihn haben, indem er ohne sie nicht fertig werden kann, während er ihnen zu nichts nütze ist, so daß er, weit entfernt sich etwas darauf einzubilden, daß er bedient wird, die Dienste, die ihm geleistet werden, gewissermaßen gedemüthigt, als einen Beweis seiner Schwäche annimmt, und sich nach der Zeit sehnt, da er groß und stark genug sein wird, um die Ehre zu haben, sich selbst zu bedienen.
    Diese Gedanken, sagte ich, würden schwer durchzuführen sein in Häusern, wo die Eltern selbst wie Kinder sich bedienen lassen; aber hier, wo Jeder, Sie vor Allem, seine Geschäfte hat, und das Verhältniß zwischen Dienerschaft und Herrschaft nur ein beständiger Austausch von Diensten und Aufmerksamkeiten ist, halte ich die Durchführung nicht für unmöglich. Indessen begreife ich noch nicht, wie Kinder, die daran gewöhnt sind, daß man ihren Bedürfnissen zuvorkomme, verhindert werden können, dieses Recht auch auf ihre Einfälle auszudehnen, und andererseits, wie sie nicht sollten von der Laune eines Bedienten zu leiden haben, der etwa ein wahres Bedürfnis? als bloßen Einfall behandelt.
    Mein Freund, entgegnete Frau von Wolmar, eine Mutter ohne hinlängliche Einsicht macht sich aus Allem Ungeheuer; die wahren Bedürfnisse sind bei Kindern, wie bei

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