Julie oder Die neue Heloise
verbessert .... Die Natur verbessern? unterbrach mich Wolmar; ein schönes Wort! Aber ehe Sie Gebrauch davon machten, hätten Sie auf das antworten sollen, was Ihnen Julie eben gesagt hat.
Es schien mir eine peremtorische Antwort, wenn ich das Prineip läugnete, und das that ich. Sie gehen immer von der Annahme aus, daß die Mannigfaltigkeit der Geister und der Fähigkeiten, welche die Einzelnen unterscheidet, ein Werk der Natur ist, und das ist doch nichts weniger als ausgemacht. Denn, wenn es verschiedene Geister giebt, so besteht eine Ungleichheit unter ihnen, und wenn die Natur sie ungleich gemacht hat, so muß dies darin liegen, daß sie die Einen im Vorzuge vor den Andern mit etwas feineren Sinnen, etwas stärkerem Gedächtniß oder etwas größerer Kraft aufzumerken ausgestattet habe. Was nun aber die Sinne und das Gedächtniß betrifft, so ist durch die Erfahrung bewiesen, daß die verschiedenen Grade ihrer Stärke und Vollkommenheit nicht das Maß des menschlichen Geistes sind; und was die Kraft aufzumerken betrifft, so hängt sie lediglich von der Stärke des Triebes ab, von welchem wir uns gerade angeregt fühlen, und außerdem ist erwiesen, daß alle Menschen von Natur hinlänglich starker Triebe fähig sind, um denjenigen Grad von Aufmerksamkeit zu erlangen, an welchen die geistige Ueberlegenheit geknüpft ist.
Wenn nun die Verschiedenheit der Geister nicht von der Naturbegründet, sondern vielmehr eine Wirkung der Erziehung wäre, das heißt der verschiedenen Gedanken und der verschiedenen Empfindungen, welche von Jugend auf die Gegenstände, die in unsre Sinne fallen, die Verhältnisse, in denen wir leben, und alle Eindrücke, die wir aufnehmen, in uns zu Wege bringen, so müßte man, weit entfernt mit der Erziehung der Kinder zu warten, bis man die Eigentümlichkeit ihres Geistes erkannt hätte, sich vielmehr beeilen, diese Eigenthümlichkeit durch eine Erziehung anzubauen, welche geeignet ist, sie gerade so hervorzubringen, wie man sie haben will.
Hierauf gab er mir zur Antwort, daß es nicht seine Art wäre, etwas, das er sähe, deshalb zu läugnen, weil er es nicht zu erklären wüßte. Sehen Sie dort die beiden Hunde auf dem Hofe, sagte er; sie sind von demselben Wurfe, sie sind ganz gleich ernährt und aufgezogen worden, sie waren nie von einander getrennt; dennoch ist der eine lebhaft, munter, anschmiegend, klug, der andere schwerfällig, träge, beißig und hat nie etwas lernen wollen. Die bloße Verschiedenheit des Temperaments hat in ihnen die Verschiedenbeit der Charaktere erzeugt, wie in uns die bloße Verschiedenheit der innern Organisation die Verschiedenheit der Geister erzeugt; alles Uebrige ist gleich gewesen .... Gleich? unterbrach ich ihn: welch' ein Unterschied! Wie viele Kleinigkeiten haben auf den einen gewirkt und nicht auf den andern. Wie viele geringfügige Umstände haben auf sie verschiedenartige Eindrückt gemacht, ohne daß Sie etwas davon merkten! Gut, versetzte er, da sprechen Sie wie die Astrologen. Wenn man ihnen entgegenhielt, daß zwei unter derselben Constellation geborene Menschen so verschiedene Schicksale hätten, so gaben sie diese Gleichheit der Bedingung nicht im entferntesten zu. Sie behaupteten, daß in Folge der schnellen Umwälzung des Himmels ein unendlicher Abstand zwischen dem Stand der Gestirne für jeden von diesen beiden Menschen vorhanden wäre, und daß, wenn man die beiden Augenblicke ihrer Geburt mit der äußersten Genauigkeit hätte angeben können, der Einwurf sich in einen Beweis verwandelt haben würde.
Ich bitte Sie, lassen wir diese Subtilitäten, und halten wir uns an die Beobachtung! Sie lehrt uns, daß es Charaktere giebt, welche sich fast mit der Geburt ankündigen, und Kinder, welche man an der Brust ihrer Amme studiren kann. Diese machen eine Classe für sich aus, und ihre Erhebung beginnt mit ihrem Leben; was aber die anderen betrifft, die sich weniger rasch entwickeln, so würde man, wennman ihren Geist bilden wollte, ehe man ihn erkannt hat, sich der Gefahr aussetzen, das zu verderben, was die Natur gut gemacht hat, und es dafür eher schlecht zu machen. Behauptete nicht Ihr Lehrer Plato, daß alles menschliche Wissen, alle Philosophie aus einer menschlichen Seele nichts weiter herausnehmen könnte, als was die Natur hineingelegt hat, wie alle alchimistischen Operationen aus einer Mixtur nie mehr Gold herausgebracht haben, als sie von Anfang an enthielt? Dies gilt weder von unsern Gefühlen noch von unsern Gedanken, aber es
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