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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Geschmack finden, aber was sollen Ihnen die seiner Schülerin
[Madame Guvon; die man aber nicht wohl Fénelon's Schülerin nennen kann. Fénelon nahm sich vielmehr nur ihrer und des Quietismus an. D. U.]
? Sie lesen Muralt; ich lese ihn auch, aber ich wähle mir seine Briefe und Sie wählen seinen Göttlichen Instinkt
[ielleicht L'Instinct commun. Par. 1753. Von demselben sollen auch sein: Lettres fanatiques. Lond. 1739. Par. 1790. D. U.]
. Sehen Sie, wie er geendet hat, beklagen Sie die Verirrungen dieses weisen Mannes und denken Sie an sich! Fromme und christliche Frau, wollen Sie zu einer bloßen Frömmlerin werden?
    Theure und achtungswerthe Freundin, ich nehme Ihren Rath mit der Gelehrigkeit eines Kindes an, und gebe Ihnen den meinigen mit dem Eifer eines Vaters. Seit die Tugend, weit entfernt, unser Band zu zerreißen, es unauflöslich gemacht hat, verschmelzen sich die Pflichten, die sie uns auflegt, mit den Rechten der Freundschaft. Dieselben Lehren sind uns dienlich, dasselbe Interesse leitet uns. Nie sprechen unsere Herzen, nie begegnen sich unsere Augen, ohne uns beiden einen ehr- und ruhmvollen Gegenstand darzubieten, der uns vereint erhebt, und die Vollkommenheit eines jeden von uns wird immer dem anderen wichtig sein. Wenn aber die Ueberlegungen gemeinschaftlich sind, so ist es doch die Entscheidung nicht; sie gehört Ihnen allein. O Sie, die Sie immer mein Schicksal machten, hören Sie nicht auf, Richterin darüber zu sein; wägen Sie meine Gründe und thun Sie den Ausspruch; was Sie über mich gebieten, ich unterwerfe mich; ich werde dessen wenigstens würdig sein, daß Sie nicht aufhören mich zu leiten. Dürfte ich Sie nicht wiedersehen, Sie werden mir stets gegenwärtig bleiben, Sie werden mir stets bei allen meinen Handlungen zum Leitstern dienen! müßten Sie mich der Ehre berauben, Ihre Kinder zu erziehen, Sie werden mir nicht die Tugenden rauben, die ich von Ihnen habe: diese sind die Kinder Ihrer Seele, die meinige adoptirt sie und nichts kann sie ihr entreißen.
    Sprechen Sie ohne Umschweif, Julie! Jetzt, da ich Ihnen Alles dargelegt habe, was ich fühle, was ich denke, sagen Sie mir, was ich zu thun habe. Sie wissen, wie mein Schicksal an das meines edlen Freundes geknüpft ist. Ich habe ihn bei dieser Gelegenheit nicht zu Rathe gezogen, ich habe ihm weder diesen Brief noch den Ihrigen gezeigt. Wenn er erfährt, daß Sie seinen Plan, oder vielmehr den Ihres Gatten nicht gutheißen, so wird auch er ihn nicht mehr billigen; ich bin weit entfernt, hieraus einen Einwand gegen Ihre Bedenken machen zu wollen; es ist nur besser, daß er, bis Ihre Entscheidung feststeht, nichts von der Sache erfahre. Inzwischen werde ich, um unsere Abreise hinzuhalten, Vorwände finden, die ihm vielleicht wunderlich dünken werden, bei denen er sich aber dennoch gewiß beruhigen wird. Was mich betrifft, so will ich Sie lieber nicht wiedersehen, als Sie wiedersehen, um Ihnen abermals ein Lebewohl zu sagen. Daß ich lernen sollte, als Fremder bei Ihnen zu leben, wäre eine Demüthigung, die ich nicht verdient habe.
     

Achter Brief.
Frau von Wolmar an Saint-Preux.
    Nun siehe! ist nicht schon wieder Ihre Einbildungskraft aufgeschreckt? Und wodurch, ich bitte Sie? Durch die wahrsten Beweise von Achtung und Freundschaft, die Sie je von mir erhalten haben, durch die ruhigsten Betrachtungen, die anzustellen nur die Sorge für Ihr wahres Glück mich veranlaßt hat, durch den verbindlichsten, vortheilhaftesten und ehrenvollsten Vorschlag, der Ihnen je gemacht worden, durch den vielleicht vorschnellen Eifer, Sie an meine Familie durch ein unauflösliches Band zu knüpfen, durch den Wunsch, mir einen Verbündeten, einen Verwandten aus einem Undankbaren zu machen, welcher glaubt, oder so thut, als glaube er, daß ich ihn nicht mehr zum Freunde wolle. Um sich aus der Unruhe zu befreien, in welcher Sie zu sein scheinen, hätten Sie das, was ich schrieb, nur in seinem natürlichsten Sinne nehmen sollen. Aber schon lange ist es Ihre Freude, sich durch unbillige Beurtheilungen der Dinge zu quälen. Ihr Brief ist, wie Ihr Leben, in den Wolken fliegend und auf dem Boden kriechend, voll Kraft und voll Kinderei. Lieber Philosoph, werden Sie nie aufhören Kind zu sein?
    Wo haben Sie denn das her, daß ich daran denke, Ihnen Gesetze vorzuschreiben, mit Ihnen zu brechen, und um mich Ihrer Ausdrücke zu bedienen, Sie an die Grenzen der Erde zurückzuschicken? Aufrichtig, finden Sie einen solchen Sinn in meinem Briefe? Ganz das Gegentheil!

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