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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Dinge: es ist das gemeinsame Loosder Sterblichen; aber die Anwendung ihrer letzten Augenblicke, ihre Reden, ihre Gefühle, ihre Seele, das Alles gehört nur Julien. Sie hat nicht gelebt wie eine Andere; Niemand, daß ich wüßte, ist gestorben wie sie. Das habe nur ich allein beobachten können, und Sie können es von Niemanden erfahren als von mir.
    Sie wissen, daß der Schreck, die Gemüthserschütterung, der Fall, die Ausleerung des Wassers, ihr eine anhaltende Ohnmacht verursachten, von der sie sich erst hier gänzlich wieder erholte. Bei unserer Ankunft verlangte sie nach ihrem Sohne; er kam; kaum sah sie ihn gehen und ihre Liebkosungen erwiedern, so wurde sie völlig ruhig, und verstand sich dazu, ein wenig zu schlafen. Ihr Schlummer dauerte nur kurze Zeit, und da der Arzt noch nicht angelangt war, so ließ sie uns inzwischen um ihr Bett sitzen, Fanchon, ihre Cousine und mich. Sie sprach mit uns von ihren Kindern, von der beständigen Aufmerksamkeit, welche die Art der Erziehung, die sie angefangen, erforderte und von der Gefahr, die Kleinen einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Sie sah ihre Krankheit für nicht sehr erheblich an, sah aber voraus, daß dieselbe sie einige Zeit verhindern würde, das Ihrige mit der gewohnten Sorgfalt zu thun, und trug uns allen auf, uns in ihre Obliegenheiten zu theilen.
    Sie verbreitete sich über alle ihre Pläne, über die Ihrigen, über die geeignetsten Mittel, das Gelingen derselben zu sichern, über das, was, ihren Beobachtungen nach, dieselben befördern oder ihnen schaden könnte, kurz über Alles, was uns in den Stand setzen konnte, sie so lange zu vertreten, als sie verhindert sein würde, ihre Mutterpflichten selbst zu erfüllen. Viel Vorkehrung, dachte ich, für Jemanden, der sich nur einige Tage einer so lieben Beschäftigung entzogen glaubt, aber was mich vollends erschreckte, war, daß sie in Betreff Henriettens noch viel mehr in's Einzelne ging. In Bezug auf ihre Söhne hatte sie sich auf das beschränkt, was die früheste Kindheit betrifft, gleich als ob sie die Sorge für ihre spätere Jugend einem Anderen überließe; in Betreff ihrer Tochter verbreitete sie sich über alle Zeiten, und fühlend, daß in dieser Hinsicht Niemand die Bemerkungen, zu welchen ihre eigene Erfahrung sie geführt hatte, ersetzen könnte, theilte sie uns in kurzen Zügen, aber mit Kraft und Klarheit, den Erziehungsplan mit, den sie entworfen hatte, und drang in die Mutter mit den überzeugendsten Gründen und mit den rührendsten Ermahnungen, sich denselben anzueignen.
    Alle diese Gedanken über die Erziehung junger Personen und über die Mutterpflichten, in denen sie häufig auf ihr eigenes Leben Bezug nahm, konnten nicht verfehlen, Wärme in das Gespräch zu bringen. Ich sah, daß sie zu lebendig wurde. Clara hielt eine ihrer Hände und drückte sie jeden Augenblick gegen ihren Mund, indem sie statt aller Antwort schluchzte; Fanchon war nicht ruhiger; und was Julie selbst betrifft, so bemerkte ich, daß auch ihr die Thränen in den Augen standen, daß sie sich aber nicht zu weinen getraute, aus Furcht, unsere Angst zu vergrößern. Sogleich dachte ich bei mir: sie sieht sich todt. Die einzige Hoffnung, die mir blieb, war, daß die Angst sie über ihren Zustand täuschen und ihr die Gefahr größer zeigen mochte, als sie vielleicht war. Leider kannte ich sie zu gut, um mir auf einen solchen Irrthum zu viel Rechnung zu machen. Ich hatte mehrmals versucht, ihre Lebhaftigkeit zu mäßigen; ich bat sie nun, sich nicht zur Unzeit durch Reden aufzuregen, die man ja bei Muße wieder aufnehmen könnte. Ach, sagte sie, nichts bekommt den Frauen so schlecht, als Schweigen; und dann, ich fühle etwas Fieber; besser, die Geschwätzigkeit, die dadurch verursacht wird, zu nützlichen Dingen anzuwenden, als ohne Sinn hin und her zu reden.
    Die Ankunft des Arztes brachte eine unbeschreibliche Verwirrung im Hause hervor. Die ganze Dienerschaft stand eines hinter dem anderen an der Thür des Zimmers; sie erwarteten mit unruhiger Miene und gefalteten Händen seinen Ausspruch über den Zustand ihrer Herrin, als ob über ihr eigenes Schicksal entschieden werden sollte. Ihr Anblick versetzte die arme Clara in eine Aufregung, die mich um ihren Kopf besorgt machte. Ich mußte die Leute unter verschiedenen Vorwänden entfernen, um ihr nur dieses Schreckbild aus den Augen zu bringen. Der Arzt gab einige unbestimmte Hoffnung, aber mit einem Tone, der mehr geeignet war, mir alle und jede zu rauben. Julie

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