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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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ergreifend, und über einen Gegenstand, bei welchem beide, gleich betheiligt, nichts angelegentlicher wünschen konnten, als Einer Meinung zu sein.
    Und was geschah? Ihre Achtung für einander verdoppelte sich, aber Jeder von ihnen blieb bei seiner Meinung. Wenn durch solche Erfahrung ein vernünftiger Mann sich nicht auf immer vom Disputiren heilen läßt, so rührt ihn nicht die Liebe zur Wahrheit: er sucht zu glänzen.
    Ich für mein Theil habe diesen unnützen Waffen auf immer entsagt, und bin entschlossen, mit meinem Manne kein Wort mehr über Religion zu sprechen, außer wenn es sich darum handelte, Rechenschaft von der meinigen zu geben. Nicht, daß der Gedanke der göttlichen Nachsicht mich gegen das Gefühl abgestumpft hätte, daß er ihrer bedarf. Ich gestehe Ihnen sogar, daß ich, obwohl über sein künftiges Schicksal beruhigt, deshalb doch meine eifrigen Wünsche für seine Bekehrung nicht verringert fühle. Ich möchte mein Blut dafür geben, ihn einmal überzeugt zu sehen, wenn nicht um seines Glückes willen in der anderen Welt, doch um seines Glückes willen in dieser. Denn wie viel Süßes entbehrt er nicht! Was kann ihn in Leiden trösten? Welches wachende Auge muntert ihn zu den guten Handlungen auf, die er im Verborgenen thut? Welche Stimme spräche in der Tiefe seiner Seele? Welchen Lohn kann er für seine Tugend erwarten? Wie muß ihm der Tod erscheinen? Nein, ich hoffe, er wird ihn nicht in diesem fürchterlichen Zustande erwarten.
    Es giebt noch ein Mittel, um ihn daraus zu erretten, und dazu will ich den Rest meines Lebens anwenden. Dieses Mittel ist nicht, ihn zu überzeugen, sondern ihn zu rühren; ihm ein Beispiel vor Augen zu stellen, welches ihn hinreißt, und ihm die Religion so liebenswerth zu machen, daß er ihr nicht widerstehen kann. Ach mein Freund, welch ein Beweisgrund für den Ungläubigen ist nicht das Leben des wahren Christen! Glauben Sie, daß es eine Seele gebe, die sich dagegen verhärten könnte? Dies ist nun hinfort das Tagewerk, das ich mir auflege: helfet mir alle bei seiner Ausführung! Wolmar ist kalt, aber er ist nicht unempfindlich. Welches Gemälde können wir seinem Herzen darbieten, wenn seine Freunde, seine Kinder, seine Frau sich alle vereinigen, ihn durch ein erbauliches Leben zu belehren! Wenn sie ihm Gott, statt ihn mit Worten zu predigen, vor Augen stellen in den Handlungen, zu denen der Antrieb von ihm kommt, in den Tugenden, deren Urheber er ist, in dem Entzücken, das Jeder fühlt, der ihm zu gefallen sucht! Wenn er in seinem Hause das Bild des Himmels wird erglänzen sehen! Wenn er hundert Mal des Tages gezwungen sein wird, auszurufen: Nein, so ist der Mensch nicht von sich selbst: etwas Uebermenschliches waltet hier!
    Wenn dieses Unternehmen nach Ihrem Geschmack ist, wenn Sie sich würdig fühlen, dabei mitzuwirken, so kommen Sie; bringen wir unsere Tage mit einander hin und verlassen uns nicht mehr bis zum Tode! Wenn der Plan Ihnen mißfällt oder Sie erschreckt, so folgen Sie Ihrem Gewissen, es schreibt Ihnen Ihre Pflicht vor. Weiter habe ich Ihnen nichts zu sagen.
    Nach dem, was Milord Eduard uns schreibt, erwarte ich Sie Beide gegen Ende des nächsten Monats. Sie werden Ihr Zimmer nicht wiedererkennen; aber in den Veränderungen, die darin vorgenommen sind, werden Sie die Sorgfalt und das Herz einer Freundin erkennen, die sich ein Vergnügen daraus gemacht hat, es zu schmücken. Sie werden auch eine kleine Sammlung von Büchern finden, die sie in Genf besorgt hat, bessere und geschmackvollere Sachen, als den
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, obgleich auch er aus Scherz mit angeschafft worden ist. Uebrigens halten Sie reinen Mund, denn da Sie, ihrer Absicht nach, nicht wissen sollen, daß das Alles von ihr kommt, so spute ich mich es Ihnen zu schreiben, ehe sie mir verbietet, Ihnen etwas davon zu verrathen.
    Adieu, mein Freund. Die Partie nach dem Schlosse Chillon
[Das Schloß Chillon, alter Sitz der Amtleute von Bevay, liegt in dem See, auf einem Felsen, der eine Halbinsel bildet und um welchen her ich aus mehr als hundertfunfzig Brassen, also beinahe achthundert Fuß, habe sondiren sehen, ohne Grund zu finden. In diesem Felsen hat man Keller und Küchen unter dem Wasserspiegel ausgehauen und man kann das Wasser, wenn man will, durch Hähne hinein lassen. Dort wurde Francis Bonnivard, Prior von Saint-Victor, sechs Jahre gefangen gehalten, ein Mann von seltenen Verdiensten. von unerschütterlicher Geradheit und Festigkeit, ein Freund der Freiheit, obgleich Savoyarde, und

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