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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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zärtlichen Mitgefühl, das du mir einhauchst, mich zuerst über Leiden, die du nicht mehr heilen kannst!
    Du weißt, ich habe es gefürchtet, das Unglück, das du beseufzest. Wie oft habe ich es dir vorhergesagt, ohne gehört zu werden! .... es ist die Folge eines zu dreisten Vertrauens .... Ach! das hilft ja Alles nicht mehr. Gewiß, ich würde dein Geheimniß verrathen haben, wenn ich dich dadurch hätte retten können; aber ich habe besser als du in deinem allzu gefühlvollen Herzen gelesen; ich sah, wie es sich in einer Glut verzehrte, die nicht zu löschen war. Ich fühlte an diesem vor Liebe klopfenden Herzen, daß es hieß, glücklich sein oder sterben, und als du, aus Furcht, zu unterliegen, unter so vielen Thränen deinen Geliebten verbanntest, dachte ich, es würde bald dein Ende sein, oder er würde zurückgerufen werden. Aber wie groß war meine Angst, als ich dich so lebenssatt und dem Tode so nahe sah! Klage weder deinen Geliebten, noch dich selbst wegen eines Fehlers an, den ich allein verschuldet habe, da ich ihn voraussah und ihm nicht zuvorkam.
    Freilich bin ich wider meinen Willen weggegangen; du sahest, ich mußte gehorchen; hätte ich dich deinem Untergang so nahe geglaubt, so hätte ich mich eher in Stücke reißen, als von dir trennen lassen. Ich täuschte mich über den Zeitpunkt der Gefahr. Schwach wie du noch warst und entkräftet, schienst du mir für die kurze Zeit meiner Abwesenheit sicher; ich sah nicht voraus, welche gefährliche Wahl dir gestellt sein würde, ich bedachte nicht, daß bei dem Zustand von Schwäche, worin du dich befandest, das ermattete Herz weniger im Stande sein würde, sich gegen sich selbst zu beschützen. Möge es mein Herz mir
    Verzeihen: ich kann kaum zur Reue kommen über einen Irrthum, welcher dir das Leben gerettet hat; ich besitze diesen starren Muth nicht, welcher es dir möglich machte, auf mich zu verzichten; ich hätte dich nicht ohne tödtliche Verzweiflung verlieren können und noch jetzt ist es mir lieber, daß du nur lebst, wenn du auch weinst.
    Aber warum so viele Thränen, theure, süße Freundin? Warum diesen Schmerz, der größer ist, als dein Fehltritt, und diese Selbstverachtung, die du nicht verdient hast? Kann eine Schwäche so viele Opfer ungeschehen machen? Und ist nicht die Lebensgefahr, der du eben erst entronnen bist, ein Beweis deiner Tugendhaftigkeit? Du denkst nur an dein Erliegen und vergissest alle die schwer erkämpften Siege, welche vorangegangen sind. Wenn du mehr gekämpft hast als Andere, die nicht erliegen, hast du nicht mehr für die Ehre gethan als sie? Kann dich auch nichts rechtfertigen, so denke wenigstens an das, was dich entschuldigt. Ich kenne einigermaßen das, was man Liebe heißt; ich werde stets dem Rausche den sie erzeugt, widerstehen können; aber ich würde einer solchen Liebe, wie die deinige ist, nicht so widerstanden haben; und ohne je erlegen zu sein, bin ich doch nicht so keusch wie du.
    Diese Sprache wird dich befremden; aber dein größtes Unglück ist, daß du sie nöthig gemacht hast: ich möchte mein Leben darum hingeben, daß sie dir nicht eigen würde; denn ich hasse schlechte Grundsätze noch mehr als schlechte Handlungen.
[Dieses Gefühl ist heil und richtig. Ungeregelte Leidenschaften treiben wohl zu schlechten Handlungen! aber schlechte Grundsätze verderben den Geist selbst und schneiden den Rückweg zum Guten ab.]
Wenn der Fehltritt noch erst zu thun wäre, und ich wäre niedrig genug, eine solche Sprache gegen dich zu führen, und du könntest sie ertragen, so würden wir beide die gemeinsten Geschöpfe sein. Jetzt aber, meine Liebe, muß ich dir so zusprechen, und du mußt mich anhören, oder du bist verloren; denn du hast noch tausend herrliche Eigenschaften, welche dir die Selbstachtung allein erhalten kann, welche ein übertriebenes Gefühl von Schande und von der Verworfenheit, die sie in ihrem Gefolge hat, unfehlbar zerstörten würde, und gerade so viel als du dich selbst werth achten wirst, wirst du in der That werth sein.
    Nimm dich also vor der gefährlichen Niedergeschlagenheit in Acht, welche dich mehr erniedrigen würde als deine Schwäche. Ist es der wahren Liebe eigen, die Seele herabzuwürdigen? Möge dir ein Fehler, den die Liebe begangen hat, nicht den edlen Sinn für das Rechte und Schöne rauben, der dich stets über dich selbst erhob.
    Ist ein Flecken an der Sonne zu merken? Wie viele Tugenden bleiben dir noch für die eine, die entstellt ist! Wirst du weniger sanft,

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