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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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unmittelbar auf seine Lage Bezug hätte, unvermerkt seine Seele zu stoischer Festigkeit zu stimmen. Sie, die Sie Ihren Epiktet so gut inne haben, sagte ich ihm, haben hier wenn je Gelegenheit, einen guten Gebrauch davon zu machen. Heben Sie den Unterschied der scheinbaren Güter von den wahren scharf hervor, deren die in uns sind von jenen, die uns äußerlich sind. Beweisen Sie ihm in einem Augenblicke, da von außen die Prüfung naht, daß man alles Schlimme nur von sich selbst erleidet, und daß der Weise, der sich selbst stets bei sich trägt, auch sein Glück stets bei sich trage. Ich merkte an seiner Antwort, daß diese kleine Stichelei, die nichts Beleidigendes für ihn haben konnte, hinreichend war, um seinen Eifer anzuspornen, und daß er stark darauf rechnete, mir am andern Morgen deinen Freund wohl vorbereitet zuzuschicken. Mehr hatte ich nicht gewollt, denn obwohl ich im Grunde, ebenso wie du, nicht viel von dieser schwatzenden Philosophie halte, bin ich doch überzeugt, daß ein ordentlicher Mann sich immer einigermaßen schämt, vom Abend auf den Morgen seine Maximen zu wechseln und sich in seinem Herzen heute von dem loszusagen, was gestern seine Vernunft gutgeheißen hatte.
    Herr von Orbe wollte sich ebenfalls anschließen und den Abend mit ihnen zubringen: aber ich bat ihn, es nicht zu thun: er würde sich nur gelangweilt, oder die Unterhaltung gelähmt haben. Der Antheil, welchen ich an ihm nehme, verhindert mich nicht, zu gestehen, daß er von dem Schwunge der beiden Anderen nichts hat. Das männliche Denken starker Seelen, welches eine so eigenthümliche Ausdrucksweise erzeugt, ist eine Sprache, von der er nicht die Anfangsgründe versteht. Als sie gingen, fiel mir der Punsch ein, und aus Furcht vor vorzeitigen Eröffnungen, ließ ich lachend ein Wort darüber gegen Milord fallen. Seien Sie ruhig, sagte er, ich hänge meinen Gewohnheiten nur nach, wenn ich keine Gefahr dabei sehe; aber ich habe mich nie zu ihrem Sklaven gemacht; es geht hier um die Ehre Juliens, um das Schicksal, vielleicht um das Leben eines Menschen und meines Freundes, Ich werde Punsch trinken wie gewöhnlich, um nicht der Unterhaltung einen Anstrich von Gesuchtem zu geben, aber es soll statt Punsches Limonade sein, und da er jetzt keinen trinkt, so wird er es nicht bemerken. Findest du nicht, meine Liebe, daß man sich recht schämen muß, Gewohnheiten angenommen zu haben, die zu dergleichen Vorsichtsmaßregeln zwingen?
    Ich habe die Nacht in großer Aufregung zugebracht, und nicht ganz nur deinetwegen. Unsere unschuldigen Jugendfreuden, die Süßigkeit eines so langen traulichen Umganges, der noch engere Anschluß seit einem Jahre zwischen ihm und mir, den die Schwierigkeit eures Zusammenkommens veranlaßt hatte, Alles das machte mir diese Trennung so bitter. Ich fühlte, daß ich mit der Hälfte deines Selbst einen Theil meines eigenen Daseins verlieren sollte. Ich zählte unruhig die Stunden und als ich es Morgen werden sah, konnte ich nicht ohne Zittern den Tag anbrechen sehen, der über dein Schicksal entscheiden mußte. Ich brachte den Morgen damit hin, mir Alles auszudenken, was ich sagen wollte, und mir den Eindruck vorzustellen, den meine Worte hervorbringen könnten. Endlich schlägt die Stunde und ich sehe deinen Freund eintreten. Er sah unruhig aus und fragte mich hastig nach dir; denn er wußte, daß du seit dem Auftritte mit deinem Vater krank warst, und Milord Eduard hatte ihm gestern noch gesagt, daß du seitdem das Bette nicht verlassen hattest. Um hierüber nicht in's Einzelne gehen zu müssen, sagte ich geschwind, ich hätte dich gestern Abend besser verlassen und setzte hinzu, er würde augenblicklich mehr hören, da Hans, den ich zu dir geschickt, sogleich wiederkommen müßte. Meine Vorsicht half mir nicht; er that hundert Fragen über deinen Zustand, und da sie mich von meinem Gegenstande abzogen, gab ich kurze Antworten und that meinerseits Fragen an ihn.
    Ich fing damit an, seine Stimmung auszuforschen. Ich fand ihn ernst, nachdenklich und ganz in der Verfassung, das Gefühl auf die Wage der Vernunft zu legen. Gott sei Dank, sagte ich bei mir, mein Weiser ist wohl bereitet; es kommt nun darauf an, ihn auf die Probe zu stellen. Man pflegt zwar traurige Nachrichten sonst immer nur allmählig vorzubringen, aber da ich seine stürmische Einbildungskraft kannte, die nur eines Wortes bedarf, um Alles aufs Aeußerste zu treiben, so beschloß ich einen entgegengesetzten Weg einzuschlagen und wollte ihn lieber

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