Julie oder Die neue Heloise
aus diesem Auftritt der Natur den köstlichsten Augenblick meines Lebens zu machen!
Heute Morgen, da Ermattung und das Nachgefühl von meinem Falle mich ein wenig lange im Bette hielten, kam mein Vater in mein Zimmer, ehe ich aufgestanden war; er setzte sich vor mein Bett und fragte zärtlich nach meinem Befinden; er nahm eine meiner Hände in die seinigen; er ließ sich so herab, daß er sie mehrmals küßte, wobei er mich seine liebe Tochter nannte und sagte, daß ihm seine Hitze leid wäre. Ich, ich sagte ihm, und es ist was ich denke, daß ich nur zu glücklich sein würde, um denselben Preis alle Tage geschlagen zu werden, und daß es keine so harte Behandlung giebt, die nicht eine einzige Liebkosung von ihm meinem innersten Herzen auslöschte.
Hierauf nahm er einen ernsteren Ton an, kam auf den gestrigen Gegenstand zurück und gab mir seinen Willen in schicklichen aber bestimmten Ausdrücken zu erkennen. Du weißt, sagte er, wem ich dich bestimme; ich habe es dir bei meiner Ankunft erklärt, und werde in diesem Punkte nie meine Absicht ändern. Was den Mann betrifft, von dem Milord Eduard mit mir gesprochen hat, dem ich übrigens die Verdienste nicht absprechen will, die alle Leute an ihm finden, so weiß ich nicht, ob er selbst die lächerliche Hoffnung gefaßt hat, sich mit mir zu alliiren, oder ob sie ihm vielleicht ein Anderer in den Kopf gesetzt hat; aber wenn ich auch Niemanden im Auge hätte und wenn er alle Guineen Englands besäße, so verlaß dich darauf, daß ich einen solchen Schwiegersohn nie annehmen würde. Ich verbiete dir, ihn ferner zu sehen oder mit ihm zu sprechen, sowohl deiner Sicherheit als deiner Ehre wegen. Obgleich ich mir immer wenig aus ihm gemacht habe, jetzt hasse ich ihn, besonders jetzt, nachdem er mich zum Jähzorn verleitet hat und ich werde ihm mein rohes Betragen nie verzeihen.
Bei diesen Worten ging er hinaus, ohne meine Antwort abzuwarten und fast mit derselben strengen Miene, welche er sich eben zum Vorwurf gemacht hatte. Ach Cousine, welche Höllenungeheuer sind diese Vorurtheile, welche die besten Herzen verwildern und die Natur jeden Augenblick zum Schweigen bringen!
So ist die Explication gewesen, meine Clara, welche du vorausgesehen hattest und deren Ursache ich nicht begreifen konnte, bis dein Brief mich darüber aufklärte. Ich kann dir nicht recht sagen, welche Umwälzung in mir vorgegangen ist, aber ich fühle mich seit jenem Augenblicke ganz verwandelt; es ist mir als ob ich schmerzlicher die glückliche Zeit beklagte, wo ich ruhig und zufrieden im Schoße meiner Familie lebte und als ob das Gefühl meiner Schuld wüchse mit der Erinnerung an die Güter, um die sie mich gebracht hat. Sage mir, Grausame, sage, wenn du es wagst, wäre die Zeit der Liebe dahin, und ist es nun so weit, daß man sich nicht wieder sehen soll? Ha! fühlst du, fühlst du, was Finsteres, Schreckliches in diesem tödtlichen Gedanken liegt? Jedoch der Befehl meines Vaters lautete bestimmt, die Gefahr meines Geliebten ist vor Augen. Weißt du, was sich in mir erzeugt aus allen diesen widersprechenden Regungen, die sich einander zerstören? Eine Art Stumpfheit, die mir die Seele fühllos macht, und mir weder den Gebrauch meiner Leidenschaft noch meiner Vernunft läßt. Der Augenblick ist kritisch, du hast es mir gesagt, und ich fühle es; indessen war ich nie weniger fähig, mich selbst zu leiten. Ich habe zwanzig Mal angesetzt um an Den zu schreiben, den ich liebe; ich bin bei jedem Federstriche einer Ohnmacht nahe, und kann nicht zwei Zeilen nach einander schreiben. Nichts bleibt mir übrig als du, meine süße Freundin: o, denke, sprich, handle für mich; ich lege mein Schicksal in deine Hände; was du auch erwählen wirst, ich bestätige im Voraus Alles was du thust; ich vertraue deiner Freundschaft diese unselige Gewalt an, die mir die Liebe so theuer verkauft hat. Trenne mich auf ewig von meinem Selbst, gieb mir den Tod, wenn gestorben sein muß; aber zwinge mich nicht, mir das Herz mit eigener Hand zu durchstoßen.
O mein Engel, mein Schutzgeist, was für ein schreckliches Amt lege ich in deine Hände! Wirst du den Muth haben, es zu verwalten? wirst du es verstehen, seine Barbarei zu mildern? Ach! Nicht mein Herz allein gilt es zu zerreißen. Clara, du weißt, du weißt, wie ich geliebt bin! Ich habe nicht einmal den Trost, daß ich am meisten zu beklagen bin! O ich flehe dich, laß mein Herz durch deinem Mund reden; erfülle das deinige mit dem zärtlichen Mitleid der Liebe;
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