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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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suchen, denn es gab einfach keinen – zumindest keinen, den er je begreifen würde. Kurze Zeit später schickten ihm Leute
     vom Messageboard erstmals Songs, die sie an E-Mails angehängt hatten, und das war nicht minder geheimnisvoll, denn es bedeutete,
     dass aufgezeichnete Musik nicht, wie er es vorher gedacht hatte, etwas Gegenständliches war – eine CD, ein Stück Vinyl, eine
     Spule Magnetband. Man konnte sie auf ihren Wesenskern reduzieren, und dieser Kern waretwas nicht Greifbares. Das machte die Musik noch besser, schöner, geheimnisvoller, fand er jedenfalls. Leute, die seine Beziehung
     zu Tucker Crowe kannten, meinten immer, er müsse Vinyl-Nostalgiker sein, aber die neue Technologie hatte seine Leidenschaft
     noch romantischer gemacht, anstatt sie zu schmälern.
    Über die Jahre hatte er allerdings eine nagende Unzufriedenheit an sich wahrgenommen, was das Tracknaming seiner neuen Zauberkiste
     betraf. Jedes Mal, wenn er eine CD in seinen Laptop schob, musste er daran denken, dass, wer immer es war, der im Cyberraum
     seinen musikalischen Geschmack überwachte, diesen etwas fade, ein bisschen sehr mainstreamig finden könnte, weil nie irgendwas
     Überraschendes dabei war. Duncan stellte sich eine Art Neil Armstrong des 21. Jahrhunderts vor, der einen Raumfahrerhelm mit
     integrierten Bang & Olufsen-Kopfhörern trug, in einem Universum herumschwebte, das stark an den altmodischen Weltraum erinnerte
     (nur dass der Cyberraum noch weniger zu durchdringen war und zweifellos mehr Pornografie enthielt) und sich immer dachte:
     Oh, nein, nicht schon wieder eins von denen . Gib mir doch mal eine Herausforderung. Biet mir doch mal was an, bei dem ich einen Moment stutze, für das ich die Präsenzbibliothek
     des Cyberspace aufsuchen muss. Manchmal, wenn der Computer etwas länger als gewöhnlich surrte, dachte Duncan schon, er hätte
     ihn jetzt wirklich kalt erwischt, aber als er eines Tages alte Sachen auf seinen iPod überspielte, hatte der für die Songtitel
     von Abbey Road fast drei Minuten gebraucht, und damit war klar gewesen, dass die Verzögerung irgendwas mit schlechten Verbindungen oder
     so zu tun hatte und nicht damit, dass Neil-mit-dem-Kopfhörer überfragt war. Duncan empfand daher seit Kurzem echte Freude
     daran, wenn Neil nichtweiterwusste und er die Titel selbst eingeben musste, obwohl das natürlich nervig war. Es bedeutete, dass er die ausgetretenen
     Pfade verlassen hatte und sich im musikalischen Dschungeldickicht bewegte. Neil-mit-dem-Kopfhörer hatte noch nie von Juliet, Naked gehört, was ein gewisser Trost war. Duncan hätte es nicht ertragen, wenn die Information ohne jedwede Kraftanstrengung erschienen
     wäre, so als wäre er schon der siebenhundertste User, der sie an diesem Tag angefordert hätte.
     
    Er wollte sich Juliet, Naked nicht sofort anhören. Er war noch zu wütend, sowohl auf Annie als auch obskurerweise auf das Album selbst, das ihr nun mehr
     zu gehören schien als ihm. Er war daher dankbar für die Zeit, die es dauerte, die Titel einzutippen (er setzte darauf, dass
     die Reihenfolge auf Naked , wie er die Platte bereits zu nennen begann, die gleiche war, wie auf dem Originalalbum – der lange Song am Schluss, sieben
     Minuten schon in der Demoversion, legte das nahe) und dann für seinen Computer, um die Musik zu schlucken. Was hatte sie sich
     bloß dabei gedacht? Er wollte eine Entschuldigung für ihr Verhalten finden, es gab aber einfach keine. Es war eine Gemeinheit
     gewesen, schlicht und einfach. Wieso hasste sie ihn urplötzlich so? Was hatte er ihr getan? Er stöpselte seinen iPod ein,
     überspielte das Album mit einem immer noch verblüffenden Schlenkern des Handgelenks und Tippen des Fingers, schnappte sich
     seine Jacke unten vom Treppengeländer und verließ das Haus.
     
    Er ging an den Strand. Er war in einem Vorort von London aufgewachsen und hatte sich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt,
     dass das Meer nur fünf Minuten zu Fuß entfernt war. Natürlich hatte ihrMeer nicht viel von Meer, wenn man erwartet, dass zumindest Spuren von Blau oder Grün darin zu finden sind; ihr Meer schien
     sich ganz einer breiten Palette an Grauschwarznuancen verschrieben zu haben, gelegentlich aufgelockert von einem Hauch Schlammbraun.
     Die Wetterbedingungen passten allerdings perfekt zu seiner Stimmung. Das Meer warf sich immer wieder wütend an den Strand
     wie ein fieser und außergewöhnlich dummer Pitbull, und die Urlauber, die es

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