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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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oder ihre Gefühle dazu hatten es irgendwie geschafft, sie aus einem tiefen Schlaf wachzurütteln: Sie wollte nun etwas. Sie
     wollte schreiben, sie wollte, dass Duncan las, was sie geschrieben hatte. Und sie wollte auch, dass die anderen Mitglieder
     auf dem Messageboard es lasen. Sie war stolz darauf, und sie hatte sich sogar schon gefragt, ob es nicht vielleicht in gewisser
     Weise von sozialem Nutzen sein konnte. Einige dieser Spinner, so hoffte sie, lasen es vielleicht, würden puterrot werden und
     in ihr richtiges Leben zurückkehren. Ihr Wollen kannte gar keine Grenzen mehr.
    »Ich hab was geschrieben.«
    »Worüber?«
    »Über Naked .«
    Duncan starrte sie an.
    »Du?«
    »Ja. Ich.«
    »Tja. Mmh. Wow. Ha.« Er grinste, stand auf und lief im Zimmer auf und ab. Es war fast so schön, als hätte sie ihm gesagt,
     dass er Vater von Zwillingen würde. Er war von der Neuigkeit nicht begeistert, wusste aber, dass er sich keine negative Reaktion
     erlauben durfte.
    »Und findest du … Na ja, findest du, dass du dazu qualifiziert bist?«
    »Ist das eine Frage der Qualifikation?«
    »Interessante Frage. Ich meine, du kannst natürlich absolut schreiben, was immer du willst.«
    »Herzlichen Dank.«
    »Aber für die Website … da wird eine gewisse Fachkenntnis vorausgesetzt.«
    »Im ersten Absatz seines Eintrags schreibt dieser Jerry Warner, Tucker Crowe lebe in einer Garage in Portugal. Wie fachkundig
     ist das denn bitte?«
    »Ich weiß nicht, ob man ihn da so wörtlich nehmen darf.«
    »Das heißt? Lebt er in einer portugiesischen Luftschloss-Garage?«
    »Ja, er ist eben etwas eigenwillig, unser Jerry. Aber er kennt alle Songs in- und auswendig.«
    »Das qualifiziert ihn höchstens, vor einem Pub zu singen. Das macht ihn nicht notwendigerweise zu einem Musikkritiker.«
    »Pass auf«, sagte Duncan, als hätte er die verrückte Eingebung, der Kaltmamsell einen Platz im Vorstand seines Konzerns anzubieten.
     »Lass mich es mal lesen.«
    Sie hatte ihren Textausdruck bereits in der Hand. Sie gab ihn ihm.
    »Oh. Gut. Danke.«
    »Dann lass ich dich mal damit allein.«
    Sie ging nach oben, legte sich aufs Bett, und versuchte, in ihrem Buch zu lesen, doch sie konnte sich nicht konzentrieren.
     Duncans Kopfschütteln war so laut, dass sie es durch den Fußboden hören konnte.
     
    Duncan las den Text zweimal, nur um etwas Zeit zu gewinnen; in Wahrheit wusste er schon nach der ersten Lektüre, dass er in
     Schwierigkeiten steckte, denn die Kritik war sowohl sehr gut geschrieben als auch total daneben. Er konnte zwar keinen sachlichen
     Fehler finden, (obwohl auf dem Board immer jemand einen krassen und völlig belanglosen Fehler fand, wenn er etwas geschrieben
     hatte), aber ihre Unfähigkeit, die Brillanz des Albums zu erkennen, verriet eine mangelnde Urteilsfähigkeit, die ihn entsetzte.
     Wie hatte sie es je geschafft, etwas zu lesen, zu sehen oder zu hören und dann zu einer richtigen Einschätzung zu gelangen?
     War das alles nur Zufall gewesen? Oder war das einfach der öde gute Geschmack der Literaturbeilagen in den Sonntagszeitungen?
     Gut, sie mochte die »Sopranos« – aber wer nicht? Diesmal hatte er miterlebt, wie sie selbst ein Urteil fällen musste, und
     sie hatte es vergeigt.
    Er konnte sich aber dennoch nicht weigern, den Text einzustellen. Das wäre nicht fair gewesen, und er wollte nicht als jemand
     dastehen, der sie unterbutterte. Und es war ja auch nicht so, dass ihr das Grandiose an Tucker Crowe entgangen wäre: Letztlich
     war das hier ja eine große Eloge auf die Perfektion von Clothed . Nein, er würde ihn auf die Seite stellen und es den anderen überlassen, ihr zu sagen, was sie von ihr hielten.
    Er las den Text noch ein letztes Mal, nur um auf Nummer sicher zu gehen, und diesmal deprimierte er ihn: Sie war in allem
     besser als er, nur nicht in ihrem Urteilsvermögen – was allerdings das Einzige war, worauf es letztendlich ankam. Sie hatte
     einen guten Stil, flüssig und humorvoll, sie war überzeugend (wenn man die Platte nicht selbst gehört hatte) und kam sympathisch
     rüber. Er neigte dazu, großspurig, einschüchternd und besserwisserisch zu sein, das sah er sogar selbst ein. Das hier war
     nicht das, worin sie eigentlich gut sein sollte. Wo blieb er da? Und was, wenn man sie nicht fertigmachen würde? Nur mal angenommen,
     sie benutzten sie als Knüppel, um ihm eine zu verpassen? Naked , das mittlerweile praktisch jeder gehört hatte, erhielt ein äußerst gemischtes Echo, und er

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