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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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viel davon. Das wäre nicht richtig.«
    »Die brauchen so jemanden wie dich. Sonst lecken sie nur noch den eigenen Sabber.«
    Es klopfte an Annies Bürotür. Ein alte Frau in Kapuzenjacke hielt ihnen einen Umschlag hin. Ros nahm ihn entgegen.
    »Hai-Foto«, sagte die Frau und watschelte wieder davon.
    Annie verdrehte die Augen. Ros öffnete den Umschlag, lachte und reichte Annie das Bild. Es zeigte dieselbe klaffende, faulige
     Wunde, die Annie schon auf dem anderen Foto gesehen hatte. Doch diesmal hatte jemand die grandiose Idee gehabt, ein kleines
     Mädchen auf den Hai zu setzen. Dessen nackter Fuß baumelte nur Zentimeter neben der Wunde; das Kleinkind weinte, die Wunde
     nässte.
    »Großer Gott«, stöhnte Annie.
    »Vielleicht wollte ja 1964 keiner die Rolling Stones sehen«, meinte Ros. »Sie amüsierten sich einfach prächtig mit dem toten
     Hai.«
    Am Abend begann Annie mit ihrer Plattenkritik. Sie hatte nicht die Absicht, sie irgendwem zu zeigen; es war einfach nur ein
     Weg, herauszufinden, ob das, was sie dachte, ihr irgendwas bedeutete. Es war aber auch ein Weg, mit der Gabel in ihre innere
     Gereiztheit zu stechen, die langsam anschwoll wie eine Wurst auf dem Grill. Falls sie platzte, konnte das möglicherweise Konsequenzen
     haben, für die sie jetzt noch nicht bereit war.
    Sie musste auch fürs Museum Texte verfassen – Briefe, Beschreibungen von Ausstellungen, Bildunterschriften, kleine Sachen
     für die Website –, doch da saugtesie sich meistens irgendwas aus den Fingern, zauberte eine Meinung aus dem Nichts, so kam es ihr zumindest vor. Dies hier
     war anders; sie konnte sich kaum zurückhalten, jeden einzelnen Gedankenstrang zu Ende zu verfolgen, an dem sie in den letzten
     Tagen herumgekaut hatte. Irgendwie hatte Juliet, Naked sie zum Nachdenken gebracht: über die Kunst und die Arbeit, über ihre Beziehung, über Tuckers Beziehung, über den geheimnisvollen
     Reiz des Obskuren, Männer und Musik, die Notwendigkeit, ambitioniert zu sein, den Wert des Refrains in einem Song und den
     Sinn und Zweck von Harmonien, und jedes Mal, wenn sie einen Absatz fertig hatte, erschien ungebeten der nächste und ließ auf
     unangenehme Weise jede logische Verbindung zum vorangegangenen vermissen. Eines Tages, beschloss sie schließlich, würde sie
     mal über einiges davon schreiben, aber nicht hier und jetzt; sie wollte, dass dieser Text von den beiden Alben handelte, von
     der grenzenlosen, fraglosen Überlegenheit des einen über das andere. Und vielleicht darüber, was gewisse Leute (mit anderen
     Worten: Duncan) in Naked zu hören glaubten, was aber gar nicht da war, und warum diese Leute (er) diese Dinge hörten und was das über sie aussagte.
     Und vielleicht auch … nein. Das war genug. Die Platte hatte solche mentalen Turbulenzen in ihr ausgelöst, dass sie sich kurz
     fragte, ob sie vielleicht doch ein Geniestreich war, aber sie verwarf diese Idee. Sie wusste aus ihrer Lesegruppe, dass auch
     Bücher, die niemandem gefallen hatten, stimulierende und manchmal sogar nützliche Diskussion anregen konnten; es war das,
     was an Naked (und damit auch Duncan) fehlte, das sie zum Nachdenken gebracht hatte, nicht das, was da war.
    Inzwischen hatten auch Duncans Internetfreunde das Album gehört, und ein paar weitere Reviewswaren eingestellt worden. Für Tuckerland war es so etwas wie Weihnachten; offensichtlich hatten die Gläubigen für die Festtage
     alle Arbeit eingestellt, um Zeit mit ihrer großen Internetfamilie verbringen zu können und, wenn man nach einigen der Texte
     urteilte, mit ein paar Bier oder einem Joint zu feiern. »KEIN Meisterwerk, aber dennoch meisterlich« lautete die Headline
     über einer Besprechung. »WANN WERDEN DIE MASSGEBLICHEN STELLEN ENDLICH WIRKLICH ALLE UNVERÖFFENTLICHTEN SACHEN VERÖFFENTLICHEN?«,
     fragte ein anderer und behauptete dann, er wüsste aus sicherer Quelle, dass noch Material für weitere siebzehn Alben in den
     Archiven lagerten.
    »Was ist das denn für ein Typ?«, fragte sie Duncan, nachdem sie versucht hatte, eine Passage seiner aufgeregten, mitunter
     recht anrührenden Prosa zu lesen.
    »Ach, der. Der arme, alte Jerry Warner. War früher Englischlehrer an irgendeiner Privatschule, aber vor ein paar Jahren haben
     sie ihn mit einem Sechstklässler erwischt und seitdem ist er ein bisschen neben der Spur. Nicht ausgelastet. Aber wieso guckst
     du dir überhaupt dauernd die Website an?«
    Sie war mit ihrer Besprechung mittlerweile fertig. Juliet, Naked

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