Juliet, Naked
Und, war es bitter?«
»Ja, ein bisschen.«
»Hast du deswegen das mit dem Sofa gesagt?«
»Ja, nehme ich an.«
»Und seid ihr noch zusammen?«
»Nein.«
»Okay.«
Und das war alles, was Gina über seine vorangegangene Beziehung wissen wollte. Duncan hatte die ganze Nacht Heimweh und schlief
schlecht; Gina hingegen wirkte übertrieben fröhlich in Anbetracht der Lage. Duncan sah sich zu der Annahme genötigt, dass
sie die Tragweite seiner Trennung von Annie einfach nicht begriff, möglicherweise weil sie oberflächlich war und es ihr an
Einfühlungsvermögen mangelte. Erst später wurde ihm klar, dass sie die Tragweite auch kaum verstehen konnte, da er sie mutwillig
und vielleicht sogar arglistig heruntergespielt hatte. Er hatte etwa 14 Jahre davon unterschlagen und verlangte von ihr, dass
sie sich als Ehebrecherin fühlte. Er hatte ihr gesagt, es sei nur ein Kratzer, und war dann sauer geworden, weil sie ihm kein
Morphium verabreichte.
Nach Hause zu kommen machte das Heimweh naturgemäß nicht besser. Es verschlimmerte es noch. Er wollte noch dableiben, vielleicht
eine DVD gucken und so tun, als wäre es ein ganz normaler Samstagmorgen, aber er bezweifelte, dass ihm das helfen würde. Er
packte seine Tasche fertig – Sachen für etwa eine Woche – und verließ das Haus. Duncan wusste nicht viel über das Auf und
Ab in Tucker Crowes Leben, eigentlich wusste niemand etwas Genaues, auch wenn im Internet viel spekuliert wurde, aber er nahm
doch an, dass es voller Turbulenzen gewesen war. Wie hatte er das ausgehalten? Wie oft hatte Tucker seine Tasche packen und
seinem Zuhause Lebwohl sagen müssen? Nicht zum ersten Mal wünschte sich Duncan, Tucker persönlich zu kennen. Wie gerne würde
er ihn fragen, was er mitnahm, wenn er aus dem einen Leben in ein neues zog. War Unterwäsche das Entscheidende? Aus irgendeinem
Grund glaubte er, Tucker könne ihm einen Tipp geben, etwa: »Halt dich nicht mit T-Shirts auf«, oder»Lass niemals dein Lieblingsbild zurück.« Duncans Lieblingsbild war ein Originalplakat zu »Dr. No«, das er und Annie unfassbarerweise
in einem Trödelladen in Gooleness entdeckt hatten. Er war sich ziemlich sicher, dass er es bezahlt und somit ein Anrecht darauf
hatte. Andererseits war es recht groß und verdeckte einen großen feuchten Fleck an der Schlafzimmerwand. Wenn er den feuchten
Fleck nackt und bloß zurückließ, würde es Ärger geben. Er fand sich mit seinem zweitliebsten Bild ab, ein 45 × 30 cm großes
Foto von Tucker, das er bei Ebay ersteigert hatte. Es war in den späten Siebzigern aufgenommen worden, vielleicht im Bottom
Line in New York, und Crowe sah gut darauf aus, jung, optimistisch und glücklich. Er hatte es sich rahmen lassen, aber Annie
hatte es nicht im Wohnzimmer oder im Schlafzimmer haben wollen, deshalb lehnte es im Büro an der Wand … Sie hätte sicher nichts
dagegen, wenn er es mitnahm, ja, wahrscheinlich hätte sie etwas dagegen, wenn er es daließ, außerdem erschien es ihm ganz
passend, schließlich war es ja auch Tuckers Ratschlag gewesen. Gut, imaginärer Ratschlag. Es war ihm ein bisschen peinlich,
mit einer kleinen Reisetasche und einem großen Bild in Ginas Wohnung aufzumarschieren, aber Gina fand es toll – sagte sie
zumindest, auch wenn er sich fragte, ob er ihrer Begeisterung trauen konnte.
Er verbrachte fast das ganze Wochenende in Ginas Gesellschaft. Sie aßen gut, sahen sich zwei Filme an, machten einen langen
Spaziergang am Strand und hatten zweimal Sex, einmal am Samstagabend und einmal am Sonntagabend. Und alles fühlte sich falsch
an, fremd, seltsam. Duncan wurde das Gefühl nicht los, dass er das Leben eines anderen führte, ein Leben, das zwar weitaus
angenehmer war als sein eigenes in letzter Zeit, das ihm aber irgendwie nicht passte, nicht stand.Und dann, am Montagmorgen, fuhren sie mit dem Fahrrad zusammen zur Arbeit, und als es Zeit für die ersten Seminare war, küsste
ihn Gina zum Abschied und kniff ihm neckisch in den Hintern, während ihre Kollegen verblüfft zuschauten. Mittags hatte es
im Kollegium die Runde gemacht, dass sie ein Paar waren.
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Was sollte man da sagen? Tucker Crowe wollte nichts einfallen. Oder besser, ihm fiel nichts ein, das ihm irgendwie weiterhalf.
»Wollen wir es nicht noch mal versuchen?« »Ich verspreche, ich werde mich ändern.« »Vielleicht sollten wir zur Paarberatung.«
Seine ausgedehnte Vorgeschichte an gescheiterten Beziehungen
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