Juliet, Naked
war nur in einer Hinsicht von Nutzen: Er fügte sich schneller
ins Unvermeidliche. Er war wie ein Automechaniker, der einen alten Wagen nur einmal ansehen musste, um dem Eigentümer sagen
zu können: »Klar, ich kann’s versuchen. Aber letztlich heißt das bloß, dass Sie in zwei Monaten wiederkommen und jede Menge
Geld vergeuden.« Er hatte früher schon versucht, sich zu ändern; er war bei der Eheberatung gewesen, er hatte es noch mal
versucht, aber das alles hatte die Agonie nur etwas erträglicher gemacht. Erfahrung war damit nur die Befähigung, guten Gewissens
passiv zu bleiben. Erfahrung war eine überschätzte Eigenschaft.
Es war neu für ihn, dass Cat sich »sozusagen mit jemand traf«, wenn auch bislang nur auf »quasi halb-platonische Weise«. (Er
war in einem Anflug von Gemeinheit versucht, auf eine Definition von »quasi halb-platonisch« zu drängen, hätte er nicht gefürchtet,
Cat könnte tatsächlich versuchen, sie ihm zu liefern, und diese Peinlichkeit hätten sie beide nicht ertragen.) Aberer konnte beim besten Willen keine Sensationsmeldung darin sehen, noch nicht mal eine Schlagzeile im Sportteil. Sie war eine
junge Frau und glaubte folglich nicht daran, dass monogame sexuelle Beziehungen zwischen Männern und Frauen von vornherein
zum Scheitern verurteilt, sinnlos, erbärmlich und hoffnungslos waren; sie würde noch darauf kommen, glaubte er, aber das würde
dauern. Natürlich traf sie sich mit jemandem. Tucker fragte sich, ob er den, der da getroffen wurde, kannte, und er fragte
sich dann, ob er fragen sollte, ob er ihn kannte. Letztlich ließ er es sein. Er wusste, was dann kommen würde: Cat würde sagen,
ja, Tucker kenne ihn vom Sehen, und er müsste dann gestehen, dass er sich nicht an ihn erinnern konnte. Der Name würde ihm
nichts sagen, es sei denn, Cat traf sich mit Fucker.
Cat starrte ihn an. Er rührte in seinem Kaffee, und das schon seit ein paar Minuten. Hatte sie ihn etwas gefragt? Er spulte
das Gespräch zurück, bis er ihre Stimme wieder hörte. »Ich glaube, wir haben das Ende unseres gemeinsamen Wegs erreicht«,
hatte sie gesagt, was eigentlich keine Frage war; trotzdem sollte er wohl zumindest bestätigen, dass es angekommen war.
»Tut mir leid, Schatz. Aber da hast du wohl recht.«
»Mehr hast du nicht dazu zu sagen?«
»Ich glaube nicht.«
Jackson kam ins Zimmer, sah Tucker und Cat erwartungsvoll dasitzen und rannte wieder raus.
»Ich hab’s dir ja gesagt«, sagte Tucker. Er versuchte, es dabei zu belassen, aber er war richtig und ehrlich sauer. Jackson
war ein kluger Junge und er hatte nur drei Sekunden gebraucht, um die Bedrohung im Zimmer zu erkennen: das Schweigen, die
offenkundige Nervosität seiner Eltern.
»Hol ihn zurück«, sagte Cat.
»Hol du ihn doch. Es war schließlich deine Idee.« Und als er Cats Reaktion darauf sah, fügte er rasch an: »Ich meine, ihm
alles zu sagen war deine Idee. In dieser Form. So offiziell.« Tucker wusste selbst nicht, wie sie es hätten besser machen
können, aber er wusste, dass sie es falsch angepackt hatten. Wie war Cat darauf gekommen, der Partykeller sei der geeignete
Ort dafür? Keiner von ihnen benutzte ihn. Er war dunkel und roch modrig. Genauso gut hätten sie Jackson mitten in der Nacht
aufwecken und durch ein Megafon anschreien können: »Es wird was Schreckliches passieren!« Und die Sitzordnung, Cat und Tucker
nebeneinander auf dem Sofa, war auch nicht gerade alltäglich. Sie waren ein Auge-in-Auge-Paar.
»Du weißt doch, dass ich das nicht kann«, sagte Cat. »Er kommt nur, wenn du ihn holst.«
Was natürlich perfekt die Probleme skizzierte, denen sie entgegensah. In Kürze – nicht heute, nicht hier und jetzt, aber in
naher Zukunft –, würde Jackson vor der Wahl stehen, mit welchem Elternteil er leben wollte, aber in Wirklichkeit blieb ihm
gar keine Wahl. Wie jeder typisch amerikanische Dad hatte auch Cat in den ersten sechs Monaten nach seiner Geburt nicht viel
von Jackson zu sehen bekommen. Sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, die Brötchen zu verdienen. Cat wusste, dass sie
in absehbarer Zukunft nicht mehr oft mit ihrem Sohn frühstücken würde, was ihre Entschlossenheit, die Beziehung zu beenden,
noch beeindruckender machte, dachte Tucker. Und da er sicher war, dass die offenbar unvermeidliche Trennung keinen Keil zwischen
ihn und seinen Sohn treiben würde, nahm sein Bedürfnis, die Wogen zu glätten, deutlich ab. Er und Jackson
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