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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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gesehen hatte, aber sie sahen aus, als stammten
     sie von einem dieser Künstler, die vor Touristenfallen herumlungern. Auf jeden Fall waren sie aus der Post-Tucker-Ära, was
     bedeutete, dass sie genauso gut die Bilder von irgendeinem anderen amerikanischen Mittelklassepärchen hätten sein können.
     Er wusch sich gerade die Hände an dem winzigen Waschbecken, als Elliott von draußen rief: »Ach ja, dann ist da noch die Zeichnung.
     Die hängt immer noch in ihrem Esszimmer.«
    »Welche Zeichnung?«
    »Das Bild, das Tucker von ihr gezeichnet hat, damals.«
    Duncan öffnete die Tür und starrte Elliott an.
    »Was meinst du damit?«
    »Sie wissen doch, dass Tucker Künstler ist, oder?«
    »Nein.« Und dann, weil er sonst wie ein Anfänger gewirkt hätte: »Klar, doch. Natürlich. Aber ich wusste nicht …« Er wusste
     nicht, was er nicht wusste, aber Elliott bemerkte es nicht.
    »Yeah«, sagte Elliott. »Da drin.«
    Das Speisezimmer lag auf der Rückseite des Hauses; Terrassentüren führten vermutlich auf eine Veranda oder in einen Garten
     – die Vorhänge waren zugezogen. Das Bild hing über dem Kamin und war groß, vielleicht 1,20 m mal 1 m, ein Schulter-Kopf-Porträt
     von Julie im Profil, die blinzelnd durch den Rauch ihrer Zigarette etwas anschaute, das nicht weit entfernt war. Ja, es sah
     aus, als würde sie selbst wiederum ein Bild ansehen. Es war ein wunderbares Porträt, beeindruckend und romantisch, aber nicht
     idealisierend – dafür war es zu melancholisch. Irgendwie schien es das bevorstehende Ende von Tuckers Beziehung zu ihr vorwegzunehmen,
     aber das konnte Duncan sich natürlich auch einbilden. Vielleicht bildete er sich seine Bedeutung bloß ein, vielleicht bildete
     er sich die Ausdruckskraft und den Charme bloß ein. Ja, er war sich nicht mal ganz sicher, ob er sich nicht vielleicht das
     ganze Bild einbildete.
    Duncan trat näher heran. Unten links in der Ecke war eine Signatur, und das war schon aufregend genug, die er sich genauer
     anschauen musste. In einem Vierteljahrhundert als Fan hatte er noch nie Tuckers Handschrift gesehen. Und während er die Signatur
     studierte, wurde ihm noch etwas bewusst: Zum ersten Mal seit 1986 löste ein Produkt von Crowe keine Reaktion in ihm aus. Daher
     hörte er auf, auf die Signatur zu starren, und trat zurück, um erneut das Bild zu betrachten.
    »Sie sollten es erst mal bei Tageslicht sehen«, sagte Elliott. Er zog die Vorhänge zurück, und im selben Moment erblickten
     sie einen Gärtner, der den Rasen mähte. Der Gärtner sah sie an, brüllte und gestikulierte, und bevor Duncan es richtig mitbekam,
     war er schon zur Haustür raus und halb die Straße hoch, schwitzend, die Beine zittrig vor Aufregung, und das Herz hämmerte
     sostark, dass er fürchtete, er könne es vielleicht nicht bis zum Ende der Straße und in Sicherheit schaffen.
     
    Erst als sich die Türen der Bahn hinter ihm schlossen, fühlte er sich sicher. Er hatte Elliott praktisch direkt aus den Augen
     verloren – er war so schnell er konnte aus dem Haus gerannt, doch der Junge war noch schneller und praktisch sofort außer
     Sichtweite gewesen. Er wollte ihn ohnehin nie wiedersehen. Es war eigentlich alles Elliotts Schuld, daran bestand kein Zweifel:
     Er hatte die Versuchung und das Mittel zum Einbruch auf einem Tablett serviert. Duncan war dumm gewesen, gut, aber seine Fähigkeit
     zum rationalen Denken war durch seine Blase beeinträchtigt gewesen, und … Elliott hatte ihn korrumpiert, ganz eindeutig. Intellektuelle
     wie er waren immer anfällig für die Exzesse derartiger Fanatiker, denn, zugegeben, ihre DNS war zu einem Bruchteil identisch.
     Sein Herzschlag begann sich zu normalisieren. Er beruhigte sich mit den altvertrauten Geschichten, die er sich immer erzählte,
     wenn Zweifel ihn zu befallen drohten.
    Als der Zug an der nächsten Station hielt, stieg jedoch ein Latino in Duncans Wagen, der ein wenig wie der Gärtner von vorhin
     aussah, und ihm sackte der Magen in die Kniekehlen, während sein Herz bis zum Hals hüpfte, und kein Maß an Selbstrechtfertigung
     vermochte seine Organe wieder an ihre angestammten Plätze zu verweisen. Was ihn am meisten ängstigte, war, wie spektakulär
     sich seine Missetat ausgezahlt hatte. All die Jahre hatte er nur gelesen, zugehört und nachgedacht, und obwohl ihn diese Aktivitäten
     angeregt hatten – was hatte er durch sie schon groß entdeckt? Und nun erzielte er bloß dadurch, dass er sich wie ein halbstarker
    

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