Julischatten
auch.«
Sim hatte sich das hintere Zimmer ausgesucht, das mit dem begehbaren Kleiderschrank und dem Schreibtisch. Es gefiel ihr, für sich zu wohnen, nicht mehr in unmittelbarer Reichweite ihrer Tante. Sie fühlte sich erwachsener, unabhängiger. Aber wenn sie ehrlich war, auch ein bisschen einsam.
Und sie schämte sich dafür, Roos in einem Moment an ihre Krankheit erinnert zu haben, in dem sie voller Vorfreude aufs Reiten gewesen war. Eigentlich war sie nämlich ganz nett.
Seit der Sache mit dem Schwimmbadeinbruch vermisste Sim ihre Freundin Nadja. Sie sehnte sich nach jemandem, mit dem sie herumalbern und ihre Träume teilen konnte. Eine Freundin, die ihr sagte, wenn sie völlig falsch lag, ob nun in Sachen Jungen oder Klamotten oder Träumen. Aber schon bald verdrängte die Erinnerung an Jimis Küsse Sims trübe Gedanken.
Sie hatte (nach Cook) hier und da betrunken mit Jungen herumgeknutscht, aber empfunden hatte sie nie wieder etwas dabei – höchstens Widerwillen gegen die fremde Zunge in ihrem Mund. Bei Jimi war das anders gewesen. Sein Kuss hatte ein glühendes Beben in ihrem Unterleib ausgelöst, etwas, das nach Wiederholung verlangte. Jimi hatte geschafft, was keiner je fertiggebracht hatte – dass sie sich begehrt fühlte.
Und Lukas?
Der Gedanke an ihn versetzte Sim einen Stich. Sie dachte daran, wie er sie zu seiner Schlucht mitgenommen hatte, wie nah sie sich ihm dort gefühlt hatte. Sim ahnte, dass Lukas Brave mehr von ihr wollte als Freundschaft, aber er würde begreifen müssen, dass sie sich in Jimi verliebt hatte und Jimi ihre Gefühle erwiderte. Eigentlich war das alles ganz einfach.
Einzige Bedrohung für ihre veränderte Beziehung zu Jimi Little Wolf war immer noch Jo. Wenn ihre Tante ihn wegen der Alkoholgeschichte zur Rede stellte, würde er sauer auf Sim sein und sich sein Begehren in Luft auflösen. Davor hatte sie wirklich Angst. Und was, wenn Michael zurückkam und seine Weinflasche vermisste? Würde Tante Jo ihre Drohung wahr machen und sie nach Hause schicken?
Sim legte sich ins Bett und versuchte, sich dem Schlaf zu überlassen, doch die Laute der nächtlichen Prärie ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Einmal waren da die Stimmen, die sie schon kannte: das plötzliche Aufjaulen der Welpen, wenn einer aus dem Nest gerutscht war oder die Zitze der Mutter nicht gleich fand. Das Schnauben der Pferde und das ferne Heulen der Kojoten. Im Trailer klang alles viel näher, viel wirklicher. Als würden die Pferde direkt vor ihrem Fenster stehen und die Kojoten den Trailer bereits umzingelt haben.
Jo hatte gesagt, Juniper könne sich und ihre Kleinen sehr gut gegen Kojoten verteidigen, darüber bräuchte Sim sich keine Gedanken zu machen. Sie machte sich dennoch welche. Dazu kam der Wind, der um den Trailer strich und das Blech der Verkleidung in den unterschiedlichsten Varianten klappern ließ. Unter dem Trailer jagten sich Tiere – das waren sicherlich die Katzen –, aber manchmal hörte es sich auch nach etwas Größerem an.
Schließlich überschritt Sim die Grenze ins Traumland. Nur dass es dort noch unheimlicher war. Jimi und sie saßen in einem Auto mit beschlagenen Scheiben und küssten sich. Jemand klopfte von draußen gegen die Scheibe und Sim wischte den Dunst mit der Handfläche fort, um zu sehen, wer es war. Eine grinsende, zahnlose Gestalt mit strähnigem Haar bedeutete ihr, die Scheibe herunterzudrehen. Sie wollte sich abwenden, als sie Jimi erkannte, der ihre eine bunte Perlenkette verkaufen wollte. »Ich habe Durst«, formten seine Lippen. Entsetzt drehte Sim sich um und stellte fest, dass es Lukas war, der mit ihr im Auto saß – und den sie geküsst hatte. Seine leeren Augen mit den riesigen schwarzen Pupillen starrten sie an.
Sim schreckte hoch, sie hatte sich in ihrer Decke verfangen. Sie tappte ins Bad und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, bevor sie sich wieder ins Bett legte. Der Traum verblasste, die nächtlichen Geräusche verschwanden im Unterbewusstsein und sie schlief endlich ein.
20. Kapitel
Die Niederländer hatten sich nach dem Frühstück auf den Weg nach Oglala zu ihrem Medizinmann gemacht und Jo hatte Jimi und Lukas telefonisch zum Horse Hill beordert. Als der rote Mustang vor dem Laden hielt, füllte Sim gerade frisches Wasser in die Pferdtränke. Die Tiere standen um sie herum, etwas, das für sie selbstverständlich geworden war. Ernsthafte Sorgen bereitete ihr die Frage, was ihre Tante mit Jimi und Lukas vorhatte.
Mit angehaltenem Atem
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