Julischatten
einen Waldweg ein und hielten wenig später vor einem rot angestrichenen Blockhaus, das im Schatten großer Kiefern stand.
Sie stiegen aus. Jimi rief einige Male: »Hallo?«, aber es schien niemand da zu sein. Schließlich entdeckte Sim den Zettel an der Tür. »Bin gegen Mittag zurück.«
Es war erst elf. Jimi schien nachzudenken. »Okay«, sagte er schließlich, »dann gehen wir eben baden.«
Zu den Cascade Falls waren es nur ein paar Meilen. Jimi stellte den Wagen auf einem großen asphaltierten Parkplatz ab, auf dem nur ein einzelnes Auto parkte. Sim verschwand kurz auf der Toilette, dann folgte sie den beiden voller Neugier. Lukas hatte seine rechte Hand auf Jimis Schulter gelegt. Es ging etliche, ungleiche Stufen in eine Senke hinab und der Abstieg war kein leichtes Unterfangen für Lukas. Jimi schien diesmal auch nicht so geduldig mit seinem blinden Freund zu sein wie sonst.
Was war los mit ihm? Hatte seine mürrische Laune etwas mit ihr zu tun oder bildete sie sich das bloß ein? Sim hätte gerne mit ihm darüber geredet, aber solange Lukas dabei war, ging das nicht.
Schließlich hörte sie ein Rauschen und sah, wie Wasser über helle Felsen sprudelte, von einer Mulde in die nächste floss, bis es sich schließlich in einem Becken sammelte, das groß genug war, um darin schwimmen zu können. Danach wurden die Fälle wieder zu einem Flüsschen. Die Felsbecken mit dem glasklaren Wasser waren umgeben von Bäumen und Sträuchern. Schilf wuchs an den Rändern. Dazwischen glatte Felsplatten, auf denen man liegen konnte.
Das Auto auf dem Parkplatz gehörte einem Pärchen, das sich in einem der kleineren Becken tummelte und wenig erfreut schien, dass es nun nicht mehr allein war. Jimi führte Lukas auf die Felsplatte am großen Becken und dort setzten sie sich. Sim breitete neben ihnen ihr Handtuch aus. Es war brütend heiß und sie konnte es kaum erwarten, ins Wasser zu kommen.
Die Jungs machten keine Anstalten, sich auszuziehen. Jimi drehte sich seelenruhig eine Zigarette. Da Sim nicht wusste, wie lange sie bleiben würden, entschied sie sich, den Anfang zu machen. Jimi hatte das meiste von ihr bereits gesehen und Lukas konnte sie nicht sehen – wo war also das Problem?
Sie streifte ihre Sachen ab und stieg im Bikini über die natürlichen Stufen, die der Felsen bildete, ins große Becken. Überrascht stellte sie fest, wie warm das Wasser war. Es musste mindestens zwanzig Grad haben und war von einem dunklen Türkis. Sim ließ sich fallen und schwamm los.
Nachdem er seine Zigarette aufgeraucht hatte, zog Jimi sich bis auf seine schwarzen Boxershorts aus und sprang kopfüber ins Becken. Mit wenigen langen Zügen war er bei ihr, umschlang und küsste sie. Sim tauchte unter ihm weg. Auch wenn sie sich nichts mehr wünschte, als dass Jimi sie mochte, fiel es ihr doch schwer, mit seiner sprunghaften Art umzugehen. Als er erneut auf sie zuschwamm, spritzte sie ihm eine Ladung Wasser ins Gesicht.
Jimi spritzte zurück und sie musste lachen. Sie lieferten sich eine wilde Wasserschlacht, bei der auch Lukas auf seinem Stein nicht trocken blieb.
»Hey, das ist unfair«, rief er erschrocken, als er eine Ladung Wasser abbekam.
Sim hörte auf zu spritzen. »Kommt Lukas nicht ins Wasser?«
»Er kann nicht schwimmen.«
»Er kann in eines der kleinen Becken gehen.«
Jimis gute Laune schwand so plötzlich, wie sie gekommen war. »Er sitzt da. Frag ihn selbst.« Er schwamm zum Felsen zurück, stieg aus dem Wasser und legte sich neben Lukas auf die sonnendurchglühte Felsplatte.
Sim beobachtete, wie das Pärchen die Stufen zum Parkplatz hinaufstieg. Jetzt waren sie allein. Obwohl ihre Haut an den Händen schon runzlig wurde, blieb sie im Wasser und schwamm noch ein paar Runden. Dann setzte sie sich auf eine der Felsstufen und ließ sich trocknen.
Was war los mit Jimi? Wie konnte ein Mensch so wechselhaft sein, so undurchsichtig? Sim schloss die Augen. Womöglich war das Ganze eine Nummer zu groß für sie. Weil Jimi Little Wolf war, wie er war. Weil sie ihn einfach nicht zu fassen kriegte. Dabei brauchte sie doch das eine am Nötigsten: Sicherheit. Jemand, dem sie vertrauen konnte, bevor sie anfing, etwas von sich preiszugeben. Weil sie sicher sein wollte, dass ihr nicht dasselbe noch einmal passierte.
Nur weil Jimi ein begnadeter Küsser war, musste das noch lange nicht bedeuten, dass er sie auch wirklich gernhatte. Sie öffnete ihre Augen, um ihn anzusehen. Aber Jimi war nicht mehr da.
Der Duft von sonnenwarmer
Weitere Kostenlose Bücher