Julischatten
Haut und einem Hauch von Himmel stieg Lukas in die Nase, als Sim sich neben ihn setzte.
»Wo ist Jimi?«, fragte sie.
»Zu Charlie gefahren. Er holt das Fell und besorgt auch gleich das Auspuffteil. Ich hoffe, das ist okay für dich?«
»Ja«, sagte sie. »Klar.«
Was sollte sie auch anderes sagen, dachte Lukas.
Der Gedanke an Jimi und Sim machte ihn traurig und er versuchte, ihn wegzuschieben. Er ergab sich dem Geruch des Wassers, dem Rauschen, wenn es über die Steine strömte und sich in den Becken verteilte. Er dachte an Sim und wie sie wohl im Badeanzug aussah.
»Hast du keine Lust, ins Wasser zu gehen?« Sie riss ihn aus seinen Träumen.
Lukas schluckte. »Ich…«
»Du kannst nicht schwimmen, ich weiß. Jimi hat es mir erzählt. Aber wir könnten zusammen in eines der kleinen Becken gehen.«
Lukas fühlte sich hilflos wie lange nicht mehr, wollte aber auch nicht als Feigling dastehen. Krampfhaft überlegte er, welche Unterhose er am Morgen angezogen hatte und ob sie möglicherweise Löcher hatte. Mutig stieg er aus seinen Jeans und zog sich das T-Shirt über den Kopf. Sim griff nach seiner Hand und führte ihn zu einem der kleineren, flachen Wasserbecken. Jetzt war er Sim vollkommen ausgeliefert, er befand sich auf fremdem Terrain mit ungewohnten Geräuschen.
»Vorsicht, es geht nach unten«, sagte sie. »Besser, du hockst dich hin und rutschst langsam rein.«
Das tat er. Das warme Wasser umspielte seinen Körper. Er spürte festen Boden unter den Füßen, stand bis zu den Hüften im Wasser. Langsam entspannte er sich.
»Es ist nicht das Meer«, sagte Sim, »aber besser als ein Pferdetrog.«
Lukas lachte befreit. Obwohl er wusste, dass da etwas lief zwischen Sim und Jimi, stand er zu seinen Gefühlen. Er mochte Sim, er war verliebt in sie. Das konnte er nicht einfach so abstellen, nur weil sie Jimi ihm vorzog. Leicht fiel es ihm allerdings nicht, sie so nah zu wissen und ihren Duft riechen zu können.
Sim führte ihn zu einem natürlichen Absatz im Fels, auf dem sie sitzen und das Wasser über ihre Körper strömen lassen konnten. Es war ein neues, ein aufregendes Gefühl und er hatte es Sim zu verdanken. Lukas wünschte, sie würde genauso für ihn empfinden wie er für sie. Diesen Wunsch verschloss er in seinem Herzen, dort, wo noch einige andere, unerreichbare Wünsche begraben waren.
Später, als sie zusammen auf dem Felsen lagen und sich von der Sonne trocknen ließen, fragte er: »Welche Farbe hat dein Badeanzug?«
»Ich habe keinen an.«
Erschrocken richtete er sich auf. »Was?«
Sim lachte schallend. »Ich habe einen Bikini an. Was dachtest du denn?«
»Ich weiß nicht… ich traue dir alles zu.«
»Eigentlich hast du recht. Hier ist niemand, ich könnte…«
»Untersteh dich«, bremste er sie. »Wenn dich hier jemand beim Nacktbaden erwischt, sperren sie dich ein – und mich gleich mit.«
»Weshalb eigentlich?«, fragte Sim.
»Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses.«
»Du denkst also, mein Körper ist ein öffentliches Ärgernis.«
Lukas musste lächeln. »Ich bin mir sicher, dass er das nicht ist, aber Nacktbaden an öffentlichen Plätzen ist in Amerika nun mal nicht erlaubt.«
Sim seufzte. »Amerikaner sind komische Leute.«
»Da gebe ich dir ausnahmsweise mal recht.«
»Er ist weiß«, sagte sie.
»Wer?«
»Mein Bikini. Weiß mit kleinen schwarzen Fischen drauf.«
»Verstehe«, sagte Lukas. »Aber was ist eigentlich ein Bikini?«
Jimi hatte das Büffelfell von Charlie geholt und war danach zurück in die Stadt gefahren. Um ein Uhr war er mit Luis Thunder im China Buffet in der River Street verabredet. In dem Selbstbedienungsrestaurant aßen viele Indianer zu Mittag und sie würden nicht auffallen. Er hatte den Ort gewählt, weil er sich dort einigermaßen sicher fühlen konnte, falls Luis Anstalten machen sollte, ihn übers Ohr zu hauen.
Jimi hatte sich etwas zu essen geholt und sich mit seinem Teller und seiner Cola in der hintersten, mit rotem Kunstleder bezogenen Sitzbucht niedergelassen. Es herrschte Hochbetrieb im Restaurant: Indianer, Asiaten, sogar zwei Schwarze. Aber kein einziger Weißer.
Letztendlich passte es Jimi ganz gut in den Kram, dass Sim und Lukas bei den Cascade Falls zurückgeblieben waren. Sonst hätte er ihnen irgendein Märchen auftischen müssen, um allein hierher zu kommen.
Vor Aufregung schlang er sein Essen hinunter. Inzwischen war es eins durch. Sein Käufer müsste längst hier sein. Fucking Indian Time, dachte Jimi. Luis Thunder,
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