Julischatten
einer anderen Zeit. Ob sein Idol Crazy Horse so ausgesehen hatte?
»Hey«, er lächelte. »Du hast Verstärkung gefunden?« Er sah Roos, deren Augen immer größer wurden, fragend an.
»Jimi und Lukas«, sagte Sim. »Und das ist Roos. Ihr geht es nicht so gut, sie muss in den Schatten.«
»Dann kommt doch mit uns«, sagte Lukas, »bei uns ist jede Menge Platz und sie kann sich setzen.«
Roos strahlte über das ganze Gesicht. Sie folgten Jimi und Lukas auf die andere Seite des Schattenkreises, wo auch Roxie und Teena in ihrer Tanzkleidung saßen. Jimi stellte ihnen Marcus und Nunpa vor, zwei Vierzehnjährige, die ihnen desinteressiert zunickten. Ein weiteres Mädchen, sie hieß Debbie, schaukelte ein Kleinkind auf dem Schoß.
In einem anderen Klappstuhl thronte Bernadine Jumping Eagle, die Pflegemutter. Sie wog mindestens hundert Kilo und die Fleischmassen quollen über den Klappstuhl, der jeden Moment unter ihrem Gewicht zusammenzubrechen drohte.
Bernadine bewegte nur den Arm, um Sim und Roos die Hand zu reichen. Ihre kleinen harten Augen fixierten die beiden Mädchen und ihr Lächeln gab zwei hässliche Zahnlücken im Unterkiefer frei. Die Indianerin trug ein fliederfarbenes T-Shirt und blaue Trainingshosen, war aber mit Goldschmuck behängt, als wäre sie auf einem königlichen Empfang und nicht auf einem Powwow.
»Ihr wohnt also bei Jo?«, fragte sie mit wenig Interesse.
Sie nickten brav.
Jimi bot Roos einen Stuhl an und sie sank darauf zusammen.
Das Chaos in Sims Herzen war kaum zu überbieten. Dieser gefiederte und mit Blitzen bemalte Jimi hatte noch vor ein paar Stunden ihre bloßen Brüste berührt und geküsst. Was ging jetzt in seinem Kopf herum? Fand er Roos hübsch? Anziehender als Sim, das Mädchen mit der Hasenscharte?
Lukas war höflich, aber wortkarg. Wusste er, dass sich zwischen ihr und Jimi etwas anbahnte? Oder lag es an ihrer Auseinandersetzung heute Morgen?
»Ihr habt toll getanzt«, sagte Roos, die sich ein wenig erholt zu haben schien.
»Danke«, sagten beide wie aus einem Munde.
»Eure Kleidung ist wunderschön.«
Sim musste sich zurückhalten, um nicht die Augen zu verdrehen. Fehlte nur noch, dass Roos Jimi sagte, wie süß sie ihn fand. Das würde ihm bestimmt gefallen.
»Alles selbst genäht«, sagte Jimi.
»Wirklich?«, rief Roos verzückt und Sim verdrehte nun doch die Augen.
»Natürlich nicht von mir«, meinte Jimi. »Klamotten sind Frauensache.«
Während Sim sich fragte, wessen Sache Jimis Tanzkleidung gewesen war, klingelte Roos’ Handy.
Sie lauschte und sagte: »Ich komme.« Mit bedauerndem Blick erhob sie sich. »Meine Eltern. Ich muss gehen.« Sie reichte Jimi die Hand. »War schön, dich kennenzulernen. Dich auch, Lukas.«
Lukas reagierte nicht auf ihre ausgestreckte Hand, bis Jimi sagte: »Gib Pfötchen, Amigo.« Da streckte er seine Rechte aus und Roos ergriff sie. »Vielleicht sehen wir uns ja noch mal, das würde mich freuen.«
»Mich auch«, sagte Lukas.
An Sim gewandt sagte Roos: »Bis später.«
Als die Niederländerin gegangen war, machte sich Schweigen breit. Bis Lukas fragte: »Was ist mit ihr? Ist sie krank?«
»Ja, ziemlich übel«, antwortete Sim überrascht. »Woran hast du das gemerkt?«
»An ihrem Geruch.«
»Was hat sie denn?«, wollte Jimi wissen.
Was Leukämie auf Englisch hieß, wusste Sim nicht, also versuchte sie, die Krankheit zu umschreiben. Lukas wusste sofort, worum es sich handelte. Sim erzählte von der fehlgeschlagenen Chemotherapie und dem verschwundenen Medizinmann Alfred Black Fox aus Oglala. Lukas runzelte die Stirn. Kannte er den Mann?
Die Trommeln erklangen und Jimi und Lukas liefen wieder zur Tanzfläche. Sim begab sich zum Verkaufsstand ihrer Tante, die schon auf sie gewartet hatte, weil sie hungrig war und auf die Toilette musste.
Als Sim Jimi ein zweites Mal begegnete, war es bereits dunkel und Scheinwerfer beleuchteten den Tanzplatz. Sie hatte von Jo den Auftrag, Jimi und Lukas zu bitten, am nächsten Tag mit Roos auszureiten. Sim hatte befürchtet, dass es darauf hinauslaufen würde.
»Ich bin nicht Jos Mädchen für alles«, sagte Jimi genervt.
»Okay, ich richte ihr das aus.«
»Nein«, brummte er, »schon okay. Ich brauche das Geld und außerdem will ich am Mittwoch Jos Truck leihen. Sag ihr, ich bin gegen vier da.«
»Indian Time?«, fragte Sim spöttisch.
»Hey, was ist so falsch daran (what the fuck?), dass wir nicht ständig nach der Uhr ticken wie ihr Weißen?«, brauste Jimi auf. »Ich werde da
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