Julischatten
eingeliefert worden. Die Frau kam mir etwas überfordert vor, aber ich konnte nicht mehr herausbekommen. Tut mir leid, Simona.«
Sim starrte Michael an. Lukas war nicht im Krankenhaus. War das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht? Ihm konnte sonst was passiert sein und sie würde es nicht erfahren, denn niemand würde es für nötig halten, sie zu informieren – schon gar nicht Jimi. Sim hatte das Gefühl, schier verrückt zu werden vor Angst, dass Lukas vielleicht verletzt war und irgendwo lag. Oder dass er tot war, was ihr unvorstellbar erschien.
»Können wir rüberfahren nach Manderson? Vielleicht ist er ja zu Hause.«
»Dann hätte er doch längst angerufen«, sagte Michael.
Das stimmte. Vor Panik wurde Sim ganz schwindelig. Wenn sie nur reiten könnte, dann würde sie sich auf einen Pferderücken schwingen und nach ihm suchen. Aber draußen war es schon dunkel und sie kannte sich überhaupt nicht aus.
Michael tätschelte ihre Schulter. »Na komm«, sagte er, »vermute mal nicht gleich das Schlimmste. Lukas wird sich schon melden, vielleicht ist einfach sein Akku leer.« Er wandte sich zur Tür. »Ich hole erst einmal die Lebensmittel aus dem Auto und mache uns etwas zum Abendessen.«
Er kochte Basmatireis und briet dünne Rindersteaks, die er von der Ranch seines Freundes mitgebracht hatte. Sim bereitete einen Tomatensalat zu, was sie für eine Weile ablenkte. Sie aßen gemeinsam, aber Sim brachte kaum einen Bissen herunter.
»Meinst du es eigentlich ernst mit Luke?«, fragte Michael. »Ich meine, nicht nur, weil er blind ist und dir das einiges abverlangt. Bald wird der Ozean zwischen euch sein und… na ja, auch in Deutschland gibt es nette Jungen.«
»Keinen wie Luke«, sagte Sim und lächelte. Damit war im Grunde alles gesagt. Es tat ihr gut, auf diese Weise an ihn zu denken, an das, was ihn so liebenswert machte.
Michael ist gar kein schlechter Kerl, ging es ihr durch den Kopf. Er konnte zuhören, war hilfsbereit und sah zudem noch gut aus für sein Alter. Sie bereute längst, die Weinflasche aus seinem Zimmer genommen zu haben, aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, ihm davon zu erzählen.
»Meinst du es eigentlich ernst mit meiner Tante?«, richtete sie die Gegenfrage an ihn. »Ich meine, nicht nur, weil sie ein bisschen verrückt ist und dir das einiges abverlangt. Bald wird der Ozean zwischen euch sein und…« Fragend sah sie ihn an. »Oder wirst du hierbleiben?«
Michael lächelte kopfschüttelnd. »Du bist deiner Tante sehr ähnlich, hat dir das schon mal jemand gesagt?«
»Weil ich mich in einen Indianer verliebt habe? Tante Jo ist geschieden.«
»Na, zum Glück«, sagte Michael. »Nein, das meine ich nicht. Du bist genauso hartnäckig wie sie, so aufrichtig und geradeheraus. Und du siehst aus wie sie, als sie so alt war wie du – genauso hübsch, genauso eigenwillig.«
Sim schluckte. Aufrichtig? Hübsch?
»Aber«, Michael seufzte und lehnte sich zurück, »du hast mich etwas gefragt und du sollst eine Antwort bekommen: Ja, ich habe mich ernsthaft verliebt in Jo. Im vergangenen Jahr habe ich drei Monate bei ihr gewohnt, bis in den Oktober hinein. Sie hat mir das Reiten beigebracht.« Er lächelte. »Ich habe mich in deine Tante verliebt und ich habe mich in dieses Land verliebt.«
Sim nickte. Das verstand sie gut.
»Aber Horse Hill ist Jos Zuhause, sie wird niemals hier weggehen, auch meinetwegen nicht. Und ich habe alte Eltern, die mich brauchen, und eine Tochter, die ihren Sohn allein erzieht.« Er hob die Schultern. »Ich werde versuchen, alles irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Jo macht das Alleinsein nicht so viel aus. Umso schöner ist dann das Wiedersehen.«
Ja, dachte Sim. Da war etwas dran.
»Ich will auch versuchen, alles unter einen Hut zu bekommen«, sagte sie. »Ich habe die Schule ziemlich schleifen lassen, aber vielleicht schaffe ich das Abi, wenn ich mir mehr Mühe gebe.«
»Wenn du es willst, schaffst du es auch, da bin ich mir sicher. Luke hat seinen Highschoolabschluss mit Bestnoten gemacht, wusstest du das?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Er ist klug, hat mehr drauf als die meisten Kids hier im Reservat. Er könnte ein Uni-Studium absolvieren, aber er will hierbleiben und seinen Leuten helfen. Vielleicht wird er das Reservat niemals verlassen.«
»Er kann nicht getrennt sein von seinem Land und den Menschen hier«, sagte Sim. Auch das war ein Grund dafür, dass sie sich in ihn verliebt hatte.
»Ja, ich weiß.«
»Nächstes Jahr werde ich
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