Julischatten
eine Cola und die Wasserflasche hin und er nahm beides mit einem spöttischen Funkeln in den Augen entgegen. Das Wasser reichte er an Lukas weiter. Sim registrierte, wie Jimi seinem blinden Freund die Wasserflasche gegen die Brust drückte und Lukas zielsicher danach griff. So funktionierte das also.
Mit einem Knacken öffnete Jimi seine Dose, legte den Kopf in den Nacken und trank. Sim verfolgte das Auf und Ab seines Adamsapfels, während er das kühle Getränk in seine Kehle rinnen ließ. Sie wollte etwas sagen – irgendetwas –, doch die Worte schienen vor ihr zu fliehen. Jimi setzte die Dose ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. Sein Blick kreuzte ihren, wanderte über die Narbe in ihrer Lippe an der Kinnlinie entlang nach unten und blieb an ihren Brüsten hängen.
Höchste Zeit zu verschwinden. »Bis später dann.«
Sie wollte kehrtmachen, als Lukas fragte: »Kommst du klar mit Jo… äh, deiner Tante?«
Jimi legte eine Hand auf die Schulter seines Freundes und dirigierte ihn ein paar Schritte in den Schatten des alten Pferdehängers. Dort ließ er sich im Gras nieder. Lukas setzte sich neben ihn und kreuzte die Beine. Er öffnete sein Wasser und trank ebenfalls.
Einen Moment zögerte Sim noch, aber schließlich siegte die Neugier. Sie lief den beiden nach und hockte sich an Lukas’ Seite.
»Tante Jo ist okay«, sagte sie. »Aber ich hasse Gartenarbeit.« Sie hielt ihre geschundenen Handflächen in die Höhe.
»Du musstest im Garten arbeiten?« Sichtlich amüsiert schüttelte Jimi den Kopf. »Sie gibt einfach nicht auf, was? Vergangenes Jahr haben die Heuschrecken alles abgefressen und dieses Jahr wird es nicht anders sein.«
Er drehte sich eine Zigarette und zündete sie an. Kleine Schweißbäche rannen über seine Schläfen. Die Zigarette zwischen den Lippen, griff er sich mit beiden Händen in den Nacken, um seinen Pferdeschwanz zu straffen. Dann lehnte er den Kopf gegen den Reifen des Hängers und rauchte mit geschlossenen Augen.
»Ich mag Jos Salat und ihre Tomaten«, bemerkte Lukas.
Erst jetzt, als sie den Blick von Jimi nahm und sich Lukas zuwandte, sah Sim die Mokassins an seinen Füßen. Sie waren staubig und voller Grassamen, dennoch konnte sie das Muster aus weißen, roten und gelben Perlen erkennen. Lukas saß kaum einen halben Meter von ihr entfernt. Seine dunklen Schultern glänzten wie poliert.
Normalerweise vermied es Sim, andere Leute anzustarren, schließlich wusste sie sehr gut, wie sich das anfühlte. Aber Lukas war blind, also konnte es ihn kaum stören. Wie hatte sie nur glauben können, die beiden wären Brüder, so verschieden, wie sie waren und auch aussahen. Jimi unverbindlich und distanziert, Lukas die Freundlichkeit in Person.
Sim wünschte, ihr würde etwas Geistreiches einfallen, das sie sagen konnte. Aber in Sachen Smalltalk war sie nun mal eine Null und die Jungs machten es ihr auch nicht gerade leicht. Schon bereute sie, sich zu ihnen gesetzt zu haben und nun diesem einträchtigen indianischen Schweigen ausgeliefert zu sein, das sie zunehmend nervös machte.
»Hast du dir bei der Gartenarbeit einen Sonnenbrand eingefangen?«, fragte Lukas unvermittelt und wandte den Kopf in ihre Richtung.
Blut schoss in Sims Wangen und sie blickte wieder nach vorn. Woher, verflixt noch mal, wusste Lukas von ihrem Sonnenbrand?
»Sie sieht aus wie eine Tomate«, sagte Jimi grinsend und ohne die Augen zu öffnen.
»Aber du riechst nicht wie eine Tomate«, sagte Lukas zu ihr, »du riechst viel besser, wie…« Er schnupperte in ihre Richtung, schien jedoch keinen Vergleich zu finden.
»Das ist mein Duschgel.«
»Und wonach riecht es?«
»Nach…«, sie zögerte, »Himmel.«
Seinem Gesicht nach zu urteilen, schien Lukas nichts anderes erwartet zu haben.
»Es ist von GAP«, klärte sie ihn auf, »und heißt Heaven.«
Sim sah ihm direkt in die Augen. Das Weiß darin war klar, Iris und Pupille verschmolzen zu zwei schwarzen Löchern, die das Licht zu verschlucken schienen. Lukas’ Blick war vollkommen leer. Obwohl Sim wusste, dass er sie nicht sehen konnte, fiel es ihr schwer, ihm standzuhalten. Für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl, als könnten seine Nachtaugen in sie hineinschauen und etwas sehen, das anderen verborgen blieb. Etwas, das verborgen bleiben sollte.
»Stimmt«, sagte er lächelnd. »Du riechst tatsächlich blau.«
Blau? Lukas hatte ein sympathisches Lächeln, auch wenn es durch das fehlende Stück seines linken Schneidezahns etwas
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