Julischatten
Welt hineinträumen. Und betrunkene oder drogenabhängige Eltern sind einfach nicht in der Lage, sich um ihre Kinder zu kümmern.« Jo seufzte resigniert. »In vielen Häusern läuft die Glotze rund um die Uhr, Simona. Tag und Nacht schauen sich die Kids Gewaltfilme an und dann werden sie selber ein Gangsta. Die meisten wachsen in dem Glauben auf, dass es für sie nur das Res gibt und sie kein Recht darauf hätten, anders zu leben.«
Sim dachte an Lukas und Jimi und fragte sich, wie sie sich ihre Zukunft vorstellten. Ob sie für immer hierbleiben wollten, in Pine Ridge.
Als Michael das Gespräch auf Bernadine Jumping Eagle brachte, horchte sie auf.
Ihre Tante erzählte von Bill Clintons Besuch im Reservat vor elf Jahren, nach dem verheerenden Tornado, der Pine Ridge heimgesucht und den Ort Oglala verwüstet hatte. Dabei war auch Bernadine Jumping Eagles Trailer in Mitleidenschaft gezogen worden.
»Clinton war beeindruckt, wie rührend sie sich um die obdachlosen Kinder kümmerte, ihnen ein Zuhause gab und Zuwendung. Damals bekam sie von ihm das Doppelhaus hingestellt.«
»Bei meinen Recherchen habe ich die Leute munkeln hören, dass nicht alle Kinder Waisen wären, die mit ihr unter einem Dach leben, und Bernadine für sie trotzdem das Pflegegeld vom Staat kassiert.«
Jo zuckte mit den Achseln. »Mag schon sein, dass da eine Nichte oder ein Neffe dabei sind«, gab sie zu. »Aber solange Bernadine nicht alles für sich behält, ist es okay. Jeder sieht zu, wo er bleibt.«
»Tyrell, ihr leiblicher Sohn, soll mit Drogen dealen.«
Jo musterte Michael misstrauisch. »Woher hast du das denn?«
»Informantengeheimnis«, antwortete er lächelnd.
Jo schüttelte unwillig den Kopf. »Glaube den Leuten nicht alles, was sie erzählen«, riet sie ihm. »Da ist irgendwer neidisch auf Bernadine und will ihr an den Karren fahren. Du solltest auf solche Beschuldigungen nichts geben.«
»Ich bin Journalist, Jo«, erwiderte Michael. »Das hört sich nach einer Story an, also werde ich der Sache nachgehen.« Er lehnte sich zurück. »Am besten frage ich Jimi und Lukas, die können mir sicherlich einiges erzählen.«
Jo schien wenig begeistert von dieser Idee zu sein. »Die beiden werden dir nichts erzählen, Michael, selbst wenn sie etwas wissen. Hast du immer noch nicht begriffen, wie es hier läuft? Die Jungs sind abhängig von Bernadine, sie hat ihnen ein Zuhause gegeben. Warum sollten sie an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen, nur damit irgendein Journalist aus Deutschland seine Story schreiben kann? Sie müssen hier im Reservat leben, werden nie hier wegkommen, während du in den Flieger steigen und verschwinden kannst.«
Sim spürte, wie die Luft knisterte von Dingen, die zwischen ihrer Tante und dem Journalisten standen, unüberbrückbare Dinge.
»Die Jungs sind bald achtzehn«, warf Michael ein. »Ist es nicht viel eher so, dass du Angst hast, ich könnte bei meinen Recherchen etwas aufdecken, das ein paar Leute gewaltig stören würde? Leute, die schnell herausfinden werden, dass ich bei dir wohne und mit dir befreundet bin?«
Jo straffte ihre Schultern und wollte etwas erwidern, als ihr auf einmal einzufallen schien, dass Sim auch noch da war. »Ich glaube, darüber reden wir ein anderes Mal«, sagte sie und stand auf, um das Geschirr zur Spüle zu tragen.
Michael beließ es dabei und half ihr schweigend beim Abwasch.
Sim lag noch lange wach und dachte über das nach, was ihre Tante und Michael über die Lakota und das Leben im Reservat erzählt hatten. Jimi und Lukas kamen ihr nicht vor wie zwei Menschen, die ohne Hoffnung waren. Und wie zwei drogensüchtige Freaks auch nicht.
8. Kapitel
Am Freitag war der Himmel schon am Morgen bedeckt, eine sehr willkommene Abwechslung nach den heißen Tagen. Michael war auf Recherchetour im Reservat und Sim half im Laden. Nachmittags kam Almona, um für ein paar Stunden das Geschäft zu übernehmen.
Jo holte drei Strickhalfter aus dem Schuppen, in dem sie die Sättel, Decken und all die übrigen Pferdeutensilien aufbewahrte, und ging mit Sim auf den Hügel, um Big Boy, Forrest und Angel in den Korral zu holen, der sich unterhalb der kleinen Blockhütte befand.
Ganz wohl war Sim nicht bei der Sache, aber zu ihrer Erleichterung ließen sich die Tiere ohne Probleme das Halfter anlegen. Als Jo mit Big Boy und Angel voranlief, folgte Forrest, den Sim am Halfter führte, von alleine. Er war nicht so groß wie die anderen beiden Pferde und unter dem dunkelbraunen Fell
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