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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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eine andere Zeit versetzt worden.
    »In den letzten beiden Jahren hat Jimi die Flagge als Erster durchs Ziel gebracht, und wie ich ihn kenne, wird er es auch diesmal schaffen.« Mit seinen Worten holte Lukas sie ins Hier und Jetzt zurück. Die Reiter waren hinter dem Hügel verschwunden. Sim spürte die Aufregung um sich herum.
    Jetzt hielt sie nichts mehr auf ihrem Klappstuhl. Sie lief ein paar Schritte nach vorn und spähte zum Hügel hinüber. Würde Lukas recht behalten und Jimi als Erster mit der Flagge in der Hand ins Ziel reiten?
    Black Arrow hatte einen schnellen Start hingelegt und schon nach wenigen Minuten konnte Jimi die anderen Reiter abhängen. Es ging bergauf und er beugte seinen Oberkörper nach vorn, den Schweißgeruch seines Pferdes in der Nase. Die kräftigen Muskeln unter ihm bebten, während er hinter Custer den Hügel hinaufjagte. Das lange blonde Haar des Mannes, das unter seinem Hut hervorquoll, bauschte sich im Wind. Krampfhaft umklammerte das Bleichgesicht den Stiel der amerikanischen Flagge.
    Obwohl das Ganze nur ein Spiel war, kam es Jimi in diesem Moment nicht so vor. Sein Gesicht war mit einer weißen Zickzacklinie, einem schwarzen Streifen und weißen Punkten bemalt, und vor dem Startschuss hatte er das Gummiband aus seinem Pferdeschwanz gezogen. Nun flogen seine langen Haare im Wind. Er war nicht mehr länger Jimi Little Wolf, Waisenjunge und Drogendealer aus Pine Ridge, dem ärmsten und hoffnungslosesten Indianerreservat der Vereinigten Staaten von Amerika. Jetzt war er Crazy Horse, Kriegshäuptling und unversöhnlicher Feind aller Weißen. Tashunka Witko, der dem verhassten General George Armstrong Custer und seiner Siebten US-Kavallerie am Little Bighorn in Montana ein bitteres Ende bereitet hatte.
    Adrenalin schoss durch Jimis Adern bis unter die Haarwurzeln und er drückte Arrow die Fersen in die Flanken. Hinter sich hörte er das Kriegsgeheul der anderen und auch aus seiner Kehle flog ein gellender Schrei, der dem blonden Mann vor ihm, das hoffte er, einen Schauer über den Rücken schicken würde.
    Gelbhaar jagte den Hügel hinab ins Tal und verlor seinen schwarzen Hut. Hell und schutzlos leuchteten seine blonden Locken in der Sonne. Jimi war inzwischen auf fünf Meter an ihn heran und der Abstand schwand zusehends. Jimi (Crazy Horse) konnte das Schlachtgetümmel hören, die Schüsse der Soldaten und die Schreie der getroffenen Krieger.
    Er selbst war unverwundbar, denn auf seiner Brust lag der Wotawe, die Kriegsmedizin, die Crazy Horse in jener Schlacht getragen hatte und die ihn vor den Kugeln seiner Feinde beschützt hatte.
    Schon war er auf zwei Meter an Custer heran und spürte die wachsende Panik des Mannes, der nicht mehr sicher sein konnte, dass alles nur ein Spiel war und er bei dieser Hatz mit dem Leben davonkommen würde.
    Gelbhaar stieß einen verzerrten Laut aus, als Jimi sich herüberbeugte und mit ausgestrecktem Arm nach der Flagge griff. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke und Jimi sah die nackte Angst in den Augen des Weißen. Dieser Moment verschaffte ihm ungeheure Befriedigung. Er entriss dem Mann die Flagge und stieß ein Triumphgeheul aus, das selbst in seinen Ohren wie das eines Wahnsinnigen klang.
    Jimi trieb Arrow an Gelbhaar vorbei, jagte das Pferd in halsbrecherischem Tempo zwischen den Hügeln entlang zum Ziel, während das Bleichgesicht zurückblieb, geschlagen und froh, unversehrt davongekommen zu sein.
    Als Jimi mit geschwenkter Flagge über dem Kopf durchs Ziel ritt, brüllte die versammelte Menge los. Jimi Little Wolf war der Held des Tages, ein Krieger, eine Hoffnung, wie Crazy Horse es gewesen war. Ein grandioses Gefühl. In diesem Moment schwor er sich, den Medizinbeutel des Häuptlings und die ledernen Geisterfiguren wieder in seinen Besitz zu bringen und dafür zu sorgen, dass ihre Macht dafür eingesetzt wurde, sein Volk stark zu machen, damit es wieder in der Lage war, gegen die fortwährende Ungerechtigkeit zu kämpfen.
    Zur anschließenden Siegerehrung erschien auch Lukas. Er und Jimi waren die Gewinner des Gefallenen-Krieger- Rennens. Yellowhawk las nacheinander die Namen der Gewinner in den übrigen Kategorien vor. Zuletzt wurde Jimi als Sieger des Capture-the-Flag- Rennens bekannt gegeben und noch einmal bejubelten ihn die Leute. Er war der Champion, der Star des Tages.
    Jimi wusste, dass das seine Chancen bei den Lakota-Mädchen an diesem Abend enorm erhöhen würde. Aber hatte er auch Sim beeindrucken

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