Julischatten
(offensichtlich kannte er das Fähnchen), Lukas sprang ab und streckte seine Arme Jimi entgegen, der auf Arrow angeritten kam. Lukas griff nach Jimis Arm, mit einem Satz schwang er sich hinter seinem Freund auf den Pferderücken und Jimi wendete Arrow, bevor er ihn wieder antrieb. Das ganze Manöver hatte keine Minute gedauert, sie mussten es Hunderte Male geübt haben.
Black Arrow machte seinem Namen alle Ehre. Obwohl er die zweifache Last zu tragen hatte, flog er wie ein Pfeil dem Ziel entgegen. Die Menge johlte, als das Pferd mit Jimi und Lukas auf seinem Rücken die Ziellinie erreichte.
Sim hatte ein paar Fotos geschossen und verstaute gerade ihre Kamera wieder in der Tasche, als ein alarmierendes Krachen im Gebüsch hinter ihr sie erschrocken herumfahren ließ. Im ersten Moment dachte sie beim Knacken der Äste an den Büffelbullen und sah sich voller Panik nach einem Fluchtweg um. Doch es war Marola auf ihrem Pferd, die zwischen den Blättern des Strauches erschien wie ein indianischer Geist mit tiefblauen Augen.
Sie umkreiste Sim einmal, zog hart an den Zügeln und das Pferd rollte mit den Augen. Sein Fell glänzte vor Schweiß. Sims Herz machte einen Satz, als wolle es aus ihrer Brust springen. Marola ritt ein Stück von ihr weg, riss erneut an den Zügeln und ihr Pferd stieg wiehernd. Dann wendete sie das Tier fast auf der Stelle und lenkte es direkt auf Sim zu. Marolas indigoblauer Blick war wirr, die schwarzen Pupillen starr. Sim sprang zur Seite und hörte Marolas boshaftes Lachen.
Einige Indianer, die in ein paar Metern Entfernung standen, begannen, aufmerksam zu werden, und riefen Marola etwas auf Lakota zu. Sie gab eine patzige Antwort zurück.
Plötzlich war Jimi neben Marola und ihrem Pferd. Er packte die Zügel, und als das Tier endlich stand, kamen schnelle, harsche Worte auf Lakota aus seinem Mund. Zu gerne hätte Sim gewusst, was er zu dem Mädchen sagte. Marola wandte den Kopf und ihre Blicke trafen sich. Die Verachtung und die Wut in den Augen der jungen Indianerin jagten Sim einen kalten Schauer über den Rücken. Schließlich ließ Jimi die Zügel los. Marola zog den Kopf ein, um ein paar Ästen auszuweichen, trieb ihr Pferd zwischen den parkenden Autos hindurch und jagte davon.
Jimi sah Sim mit besorgt gerunzelter Stirn an. »Alles klar?«
»Was war das denn?« Sie zitterte, stand immer noch unter Strom.
»Zu viel Adrenalin«, meinte Jimi achselzuckend.
Adrenalin? »Ist sie immer so?«
»Marola ist tough. Manchmal übertreibt sie es eben ein bisschen.« Er holte sich eine Dose aus der Kühlbox und verschwand ebenso plötzlich, wie er aufgetaucht war. Die Umstehenden, die das Schauspiel mit Blicken verfolgt hatten, wandten sich wieder ab und Sim hatte das Gefühl, als wäre alles bloß ein Traum gewesen.
10. Kapitel
Inzwischen war später Nachmittag geworden. Eine leichte Brise wehte durch das Tal und machte die Hitze für Menschen und Tiere erträglicher. Während die Wettkämpfe weiterliefen, erkundete Sim das Areal und entdeckte, dass sie nicht mehr die einzige Weiße auf dem Gelände war. Eine Gruppe Jugendlicher stand im Pulk um einen Stand mit T-Shirts. Sie gesellte sich zu ihnen, nur um gleich darauf festzustellen, dass sie auch von den weißen Jungen und Mädchen angestarrt wurde.
Okay, Sim, sagte sie sich, du hast es nicht anders gewollt.
Für zehn Dollar erstand sie ein rotes und ein schwarzes T-Shirt mit aufgedruckten Pferden, die ein indianischer Künstler entworfen hatte. Mit Schere, Nadel und Faden würde sich etwas Passables daraus machen lassen.
Auf dem Weg zurück zu ihrem Schattenplatz fiel Sim ein Reiter mit langem blondem Haar, Schnauzbart und schwarzem Cowboyhut ins Auge. Er trug eine Lederweste und saß steif wie ein Brett auf seinem Pferd. Der Typ sah aus wie die Reinkarnation von General Custer, dessen Niederlage am Little Bighorn der Anlass des heutigen Feiertags war. Was machte jemand, der dem verhassten General so ähnlich sah, auf einem Pferderennen zu seinem Todestag? Der Mann musste lebensmüde sein, anders konnte Sim sich seine Anwesenheit nicht erklären.
Sie nahm wieder in einem der Klappstühle Platz und hielt Ausschau nach Lukas und Jimi, allerdings vergeblich.
Laut Durchsage waren sie nun beim Höhepunkt des Tages angekommen, dem Capture-the-Flag- Rennen. »Doch zuvor wollen wir all derer aus dem Volk der Lakota gedenken, die in den Jahren nach der Schlacht am Little Bighorn ihr Leben gelassen haben«, sagte Yellowhawk.
Lakota, die
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